Opfer im Irak: 151.000 Tote seit Kriegsbeginn
Ein neuer Bericht der WHO korrigiert bisherige Schätzungen über Todesfälle seit dem US-Einmarsch 2003. Der Bericht ist glaubwürdig, beschreibt aber nur einen Teil der Krise.
Rund 151.000 Menschen sind seit Beginn des Krieges im März 2003 im Irak eines gewaltsamen Todes gestorben. Zu dieser Einschätzung kommt ein am Mittwoch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vorgestellter Bericht, der auf der Befragung von rund 10.000 Haushalten im Irak in den Jahren 2006 und 2007 beruht.
Die Untersuchung, durchgeführt von Mitarbeitern des irakischen Gesundheitsministeriums und finanziert von den Vereinten Nationen und der Europäischen Kommission, kommt zu wesentlich niedrigeren Ergebnissen als eine Studie von 2006, die zum damaligen Zeitpunkt von über 600.000 Toten ausgegangen war.
Beide Berichte basieren auf der Befragung von Haushalten nach Todesfällen, allerdings hat der aktuelle Bericht wesentlich breiter angelegte Quellen. Schon bei Veröffentlichung war die Methodik des Berichts von 2006 stark angezweifelt worden.
Doch auch die neue Untersuchung bietet keine definitive Sicherheit - tatsächlich ist die angegebene Zahl von 151.000 lediglich ein Mittelwert aus den Minimal- und Maximalschätzungen, zu denen die Studie kommt. Demnach sind seit der US-Invasion mindestens 104.000 und höchstens 223.000 Menschen gewaltsam ums Leben gekommen. Abgeglichen haben die Forscher ihre Zahlen mit den ständigen Berichten der in Großbritannien beheimateten Internetseite Iraq Body Count (www.iraqbodycount.org). Deren Macher führen keine eigenen Untersuchungen im Irak durch, sondern werten lediglich konsequent alle Medienberichte über Anschläge, Kämpfe oder sonstige gewaltsame Zwischenfälle im Irak aus. Ihre Zahlen liegen derzeit zwischen 80.000 und 87.000 gewaltsam zu Tode Gekommenen. Der neue WHO-Bericht geht aber davon aus, dass etliche Todesfälle in den Medien nicht berichtet werden; insbesondere solche außerhalb der Hauptstadt Bagdad. Daher setzt der WHO-Bericht die Zahlen wesentlich höher an.
Die Schwierigkeit, überhaupt zu belegbaren Einschätzungen zu kommen, besteht vor allem im Fehlen eines funktionierenden Sterberegisters. Dazu kommt, dass sich - womöglich gerade nach gewaltsamen Todesfällen - Haushalte auflösen, die Menschen wegziehen, Überlebende das Land verlassen. Auch waren etliche Regionen zum Zeitpunkt der Befragungen aus Sicherheitsgründen für die Mitarbeiter nicht erreichbar - die Studie kann nur schätzen, dass gerade dort die Todesraten höher liegen dürften als anderswo. Der Bericht unterscheidet nicht nach Verursachern der Gewalt.
Die ausführliche Erläuterung der Methodik und der verwendeten Berechnungsgrundlagen für die verschiedenen Bereiche verschafft der WHO-Studie hohe Glaubwürdigkeit. Das ganze Ausmaß der humanitären Krise, darauf verweisen die Verfasser selbst, erfasst sie nicht - es werden ausschließlich Todesfälle benannt, die unmittelbar auf Gewalteinwirkung zurückgehen - nicht aber solche durch Krankheiten beziehungsweise infrastrukturelle oder hygienische Mängel.
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