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Archiv-Artikel

Opfer des Antikommunismus

Die Geschichte einer heterogenen Widerstandsgruppe, die in Ost und West diffamiert wurde: Das 3001 zeigt Stefan Roloffs im vergangenen Jahr fertig gestellte Dokumentation ,,Die Rote Kapelle“

Im September 1942 verhaftete die Gestapo aufgrund eines in Brüssel entdeckten sowjetischen Funkspruchs mehr als 100 Berliner Mitglieder eines bis dahin unbekannten Widerstandsnetzwerks. Für die ermittelnde Kriminalpolizei und die nationalsozialistische Abwehr galt die Organisation von vornherein als kommunistische Spionagegruppe. Nach dem geheimdienstlichen Codewort für den Funker und die ihm unterstellte politische Orientierung bezeichneten sie den eher lose organisierten Verband von Widerständlern als „Rote Kapelle“.

Diese von den Nazis aus politischen Gründen vorgenommene Kategorisierung ist auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beibehalten worden – sowohl vom amerikanischen Geheimdienst CIC und etlichen bundesdeutschen Historikern als auch von der DDR-Geschichtsschreibung mit jeweils unterschiedlicher Intention. Dabei handelte es sich vielmehr um eine heterogen zusammengesetzte Gruppe von Offizieren, Sozialdemokraten, Kommunisten und bekennenden Christen, denen es gemeinsam um die Zerstörung des Nazi-Regimes ging. Unter den Verhafteten war neben dem Oberregierungsrat im Reichswirtschaftsministerium, Arvid Harnack, und dem Oberleutnant im Reichsluftfahrtministerium, Harro Schulze-Boysen auch der Konzertpianist Helmut Roloff, der als einer von wenigen den Prozess vor dem Reichskriegsgericht überlebte.

Der Maler und Filmemacher Stefan Roloff, der selbst lange Zeit nichts von der Vergangenheit seines Vaters wusste, hat die Gespräche mit ihm, anderen Überlebenden und einigen Familienangehörigen der damals zum Tode Verurteilten in einer Dokumentation verarbeitet. Sein Film versucht mithilfe zahlreicher Interviews einen Einblick zu vermitteln in die Absichten, in verschiedene Aktionen und die Erfahrungen der Haft der so genannten Roten Kapelle. Einerseits verbindet er die persönlichen Erinnerungen der Befragten mit Archivbildern, andererseits mit nachgestellten Szenen, die in einer speziell entwickelten Animationstechnik produziert wurden.

Neben Schilderungen der furchtbaren Haftbedingungen berichtet der Film, in welchen unterschiedlichen Formen des Widerstands sich die Mitglieder der Gruppe engagierten. Während Harnack und Schulze-Boysen Ende der 30er Jahre die amerikanische und sowjetische Botschaft mit Informationen über die Kriegsvorbereitungen belieferten, betrieben Helmut Roloff, das Ehepaar Coppi und viele andere nach dem Beginn des Krieges durch Flugblätter erste Schritte zur Aufklärung der deutschen Bevölkerung über die Verbrechen an der Ostfront.

Während man sie in der DDR bei aller Inanspruchnahme als kommunistische Antifaschisten immerhin als Kämpfer gegen den Nationalsozialismus ehrte, wurden sie in der Bundesrepublik bis in die 60er Jahre hinein vielerorts als vermeintlich landesverräterische Spione diffamiert. Vor solchem Hintergrund ist Roloffs Film nicht nur ein Dokument historischer Richtigstellung, sondern auch ein Zeugnis für die (ideologische) Kontinuität zwischen dem „Dritten Reich“ und der Nachkriegs-BRD.

MATTHIAS SEEBERG

Donnerstag und Freitag, 20 Uhr, 3001