piwik no script img

■ On the road: Geschichte in Straßennamen (3)Feste im Graben

Wie das auf der Zunge zergeht: Contrescarpe. Mit dem vornehm-blasierten Nasal in der ersten Silbe und dem tonlosen ,e' am Schluß. Französische Laute seit 1675. Vulgo: Konttreskarppe. Eingedeutscht ist es sprachliche Realität im Bremer Mund. Freizeit-Stadtforscher mit Italien-Neigung bevorzugen folgende Etymologie: „con tre scarpe“ – mit drei Schuhen. Romantisch, rätselhaft, leider nur Legende. Die Wahrheit ist, wie so oft, banaler und militärisch motiviert. Festungstechnisch: Escarpe, die innere Böschung des Stadtgrabens, Contrescarpe, sein äußeres Gegenstück, das den Graben vor Überschwemmungen schützen sollte. Und vor Feinden. Wassergräben und Wälle (Am Wall) rund um die Altstadt (mit Fortsetzung Neustadtscontrescarpe) sorgten für Sicherheit. Napoleon kam trotzdem durch und überwand die Befestigungen samt Contrescarpe 1810. Strittig die Frage, ob der konsequente Frankreich-Boykotteur dieser Tage die Straße großräumig zu meiden hat.

Schon Mitte des 17. Jahrhunderts vergnügten sich die Bremer BürgerInnen auf den Wallanlagen, die, laut Entdeckerhandbuch Bremen, als Gemüsegarten, Spazierweg, Viehweide oder Müllkippe zweckentfremdet wurden. Heute hingegen mäandert die Straße in harmonischen Schwüngen zwischen Goetheplatz und Daniel von Büren-Straße, immer vis-à-vis zum Stadtgraben. Nachdem sich offensichtlich Escarpe und Contrescarpe besser zum Flanieren als zum Verteidigen eigneten, wurden die Wallanlagen in einen englischen Landschaftsgarten verwandelt. Erste Adresse für die Bremer Honoratioren-Familien, die sich ab 1850 hier niederließen. Offiziell allerdings bloß mit Zweitwohnsitz: Ein Kniff, um das Gesetz zu umgehen, wonach Vorstadtbürger nur Bürger zweiter Klasse waren.

Klassische Bremer Häuser en suite sind bis heute zu bewundern, noch freistehend und ab 1870 mit modischem Wintergarten (“müssen wir haben, hat der Nachbar auch“). Der Untergrund war so feucht, daß die Häuser so flach wie möglich zu bauen waren; dafür schüttete man nach vorn hin die Straße auf, und das Wohngeschoß wurde standesgemäß als ,bel étage' höhergelegt. Die Herrschaften ließen sich eben nicht gerne auf die Teller schauen, sondern schauten lieber auf die Passanten herab und auf den Park hinunter.

Alexander Musik

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen