EIS, LIEBE, FREIHEIT : Omas Gene
Ich habe schlechte Laune. Überlege, ob ich Kekse essen soll, bis mir schlecht ist. Dann hätte ich wenigstens was zu tun. Paul ruft an. Er findet die Idee gut. „Vielleicht ist noch Eis da“, überlegt er. „Ich mag das Eis nicht“, sage ich. „Das schmeckt nach Pappe.“ – „Aber wenn du es nicht magst und es trotzdem isst, dann wird dir schneller schlecht“, gibt Paul zu bedenken. „Vielleicht musst du sogar speien“, fügt er hinzu, „dann könntest du gleich mal testen, ob deine Haare schon wieder lang genug sind, dass sie dir beim Kotzen in die Quere kommen.“ – „Geht nich“, sage ich, „ich hab die Haare hochgesteckt.“ – „Nee“, sagt Paul enttäuscht, „dann hat es keinen Sinn.“
Wir schweigen eine Weile. Ich höre, wie Paul den Zigarettenrauch auspustet. Es klingt wie ein Ventil, aus dem die Luft entweicht. Pffffft! „Wenn man wenigstens noch rauchen dürfte“, sage ich wehmütig. „Heute Abend hast du doch Lesung“, sagt Paul, „da darfst du viel passiv rauchen. Vielleicht wird dir ja davon schlecht?“ – „Dann will ich auch nicht mehr“, murre ich. Wir schweigen noch mal kurz, dann höre ich ein finales „Pfffffft!“. „Ich muss wieder rein, Spätzchen!“, sagt Paul. „Ja, ja“, rufe ich, „verlass mich nur! Ist schon in Ordnung!“
Das sind die Schauspielergene meiner Großmutter. Als wir ihr vorschlugen, eine neue Haushälterin zu engagieren, weil ihre Frau Kümmer irgendwie gar nichts mehr machte und der Küchenboden klebte, dass es einem fast die Schuhe auszog, da schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen, drehte die Augen zur Decke und stieß in einem Tonfall hervor, der Vivien Leigh in „Gone with the Wind“ alle Ehre gemacht hätte: „Jetzt lasst mir doch die einzige Freiheit, die ich habe!“
Eins muss man Paul lassen: Er gibt sich wirklich Mühe, nicht zu lachen. Dafür liebe ich ihn. „Vielleicht schreibst du eine neue Geschichte“, schlägt er vor, „für heute Abend.“ Dabei weiß er doch genau, dass mir nichts einfällt, wenn ich schlechte Laune habe. LEA STREISAND