■ Olympias Gesamtsieger: TV-Männer, die strammstehen: Der Gesamtdeutsche (letztlich Waldemar)
Nach zwei Wochen Nagano ist aufgrund gewisser Vorkommnisse am Schlußtag das eine oder andere Urteil und Vorurteil zu korrigieren respektive zu bekräftigen.
1. Das deutsche Fernsehen ist trotz hie und da gefallener Äußerungen, heuer die permanente Präsentation des sog. Medaillenspiegels zu unterlassen, rückfällig geworden und hat seine alten Qualitäten wiedergefunden. Seit zirka Katja Seizingers Double-Erfolg und Hilde Gergs Assist schwoll die Brust der TV-Moderatoren doch wieder machtvoll an. Zuletzt nahm das Medaillenspiegel-Schaubild 28 Prozent der Sendezeit in Beschlag. Wir sind beruhigt.
2. Der Schlußtag toppte selbst Angermanns und Steinbrechers wochenlange Erweckungslyrik in doch überraschend deutlicher Weise. Wie gemütvoll einfältig hatte noch der Kanzler an NOK-Präsident Tröger telegraphiert: „Ich gratuliere allen, die in den Wettbewerben gekämpft und ihr Bestes gegeben haben“; wie unnachgiebig antikommunistisch dagegen krakeelte Jochen Sprentzel, als die Tschechische Republik das glanzvolle russische Eishockey- Team mit 1:0 bezwang: „Die Tschechen haben Eishockey immer als ein Stück Freiheitskampf begriffen.“
3. Um 8.13 Uhr war schließlich die Zeremonie für den goldigen deutschen Viererbob zu Ende gegangen, da sprach der wahrscheinlich penetranteste aller Deutschlandreporter, Waldemar Hartmann, einen wegweisenden Satz: „Sie zu Hause, liebe Zuschauer, dürfen sich jetzt wieder hinsetzen nach der Hymne und weiter frühstücken.“ Der Publizist Albert Hefele charakterisierte Hartmanns Erscheinungsbild mal als „so gerade noch vor Adolf Hitler“. Jetzt ließ Waldi die Lederhosen vollarsch runter und beorderte die Deutschen, olympische Gesamtsieger vor den blöden Russen, zum Fahnenappell. Viel mehr kann nun wirklich nicht mehr kommen. Jürgen Roth
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