Olympia-Fahnenträgerin Natascha Keller: Vorzeigefrau aus der Gold-Familie
Die Hockey-Rekordnationalspielerin Natascha Keller wird das deutsche Team bei der Eröffnung mit der Fahne anführen. Damit wird eine verdiente Olympionikin ausgezeichnet.
„Nicht überheblich, leistungsorientiert, bodenständig und erfolgreich.“ Knapp und bündig fasste Michael Vesper, der Chef de Mission des deutschen Olympia-Teams, die Gründe zusammen, die für Natascha Keller sprachen.
Die Hockey-Rekordnationalspielerin wird am Freitag bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in London, die schwarz-rot-goldene Fahne tragen und das deutsche Team beim Einzug ins Stadion anführen. Diese Entscheidung des Deutschen Olympischen Sportbundes wurde am Mittwochmittag verkündet.
Auch Tischtennisspieler Timo Boll, Pistolenschütze Ralf Schumann und Gewichtheber Matthias Steiner waren zuvor als aussichtsreiche Kandidaten im Gespräch gewesen. Für Fahnenschwingerin Keller dürfte neben der von Vesper attestierten charakterlichen Eignung der 35-Jährigen auch der Umstand gesprochen haben, dass seit 1908 erst vier deutschen Frauen diese Ehre zuteil wurde. Zuletzt schritt die Kanutin Birgit Fischer 2000 in Sydney dem deutschen Team voran.
Außerdem erfährt dadurch die Riege der Mannschaftssportler, die dieses Mal nur mit drei Teams vertreten ist (2x Hockey und die Volleyballmänner) zumindest eine symbolische Aufwertung. Natascha Keller sagte hoch erfreut: „Das ist das i-Tüpfelchen auf meiner Karriere. Es ist eine große Ehre für mich persönlich, für die Sportart und die ganze Hockey-Familie.“ Bundestrainer Michael Behrmann erklärte: „Das ist vor allem toll für unsere Sportart und natürlich für Natascha selbst.“
2008 gab es Debatten um den Fahnenträger Nowitzki
Mit der Entscheidung für Keller kehrte der DOSB auch wieder zu seinem altbewährten Prinzip zurück, verdiente Olympioniken mit der Auswahl auszuzeichnen. Die Berlinerin war bereits viermal bei Olympia dabei. Bei den Spielen 2008 in Peking sorgte noch die Entscheidung, dem Basketballausnahmespieler Dirk Nowitzki die Fahne zu übergeben, für erregte Debatten, weil der Würzburger erstmals dabei war.
Vom NBA-Star versprach man sich eine größere Außenwirkung und zugleich auch positive Ausstrahlung aufs Teamgefüge. Vesper versuchte aber seinerzeit die Wahl idealistisch zu begründen. Er behauptete, dass Nowitzki die olympische Idee „so authentisch“ verkörpere.
Im Falle von Keller gehört die olympische Idee zur gelebten Familiengeschichte. Bereits ihr Opa Erwin gewann 1936 in Berlin Silber. Es folgte ihr Vater Carsten 1972 mit Gold in München, Bruder Andreas 1992 Gold in Barcelona, das gleiche Kunststück gelang ihr 2004 in Athen.
Zuletzt sicherte sich Bruder Florian in Peking 2008 die Goldmedaille. Die Keller-Familie gehört zu den ganz großen olympischen Erzählstoffen. Die Neffen und Nichten von Natascha Keller reüssieren bereits in den deutschen Juniorennationalteams.
Trainer zählt Keller weltweit zu den besten drei Stürmerinnen
Die Entwicklung der Fahnenträgerin von London ist für sich genommen schon höchst erstaunlich. Bundestrainer Behrmann attestierte ihr, dass sie trotz ihres Alters athletischer und noch wichtiger für das Team geworden sei. „Sie ist wie guter Wein: je älter desto besser.“ Eine nicht erkannte Schilddrüsenunterfunktion hatte lange Zeit ihren Energiepegel unten gehalten. Behrmann zählt Keller nach wie vor weltweit zu den drei besten Stürmerinnen.
Nach den olympischen Spielen will die Welthockeyspielerin von 1999 dennoch ihre Nationalmannschaftskarriere beenden. „Irgendwann muss ja Schluss sein. Ich muss den Jüngeren Platz machen“, sagte sie vor wenigen Wochen der taz. Der Abschluss wird ihr mit dem Fahnengang versüßt werden.
Jüngst erklärte sie: „Es ist für mich kaum vorstellbar, wie es sich anfühlt, mit der Fahne vorneweg zu marschieren, und die gesamte Mannschaft läuft hinterher.“ Angesichts ihrer Karriere hat sie vermutlich schon Aufregenderes erlebt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften