Oligarch Lebedew über die Finanzkrise: "Noch bin ich Milliardär"

In Russland zeigen sich autoritäre Tendenzen, während die Bürokratie durch und durch korrupt ist. Und für die russische Wirtschaft könnte der Finanzkollaps reinigend sein, meint Alexander Lebedew.

Lebedew besitzt Russlands erste Billigfluglinie. Andere Oligarchen werden in der Krise wohl abstürzen. Bild: düa

taz: Herr Lebedew, sind Sie noch Milliardär? Seit Ausbruch der Finanzkrise stehen Sie nicht mehr auf der Forbes-Liste der reichsten Männer der Welt.

Alexander Lebedew: Noch bin ich Milliardär und auf die Forbes-Liste gebe ich nichts. Im Unterschied zu vielen Forbes-Oligarchen habe ich aus dem Rubelkollaps 1998 gelernt. Kreditgeschäfte und Spekulationen sind für mich seither tabu, und auch die Nähe zum Staat und seinem Geld habe ich gemieden. Wir investieren in handfeste Projekte der realen Wirtschaft.

Ihnen kann die Krise also nichts anhaben?

Investitionen müssen auch wir runterschrauben, wahrscheinlich zwischen 20 und 30 Prozent. Uns läuten aber nicht die Totenglocken wie so manch anderem Oligarchen. Ich kann nur hoffen, dass die Krise auf die Heißsporne unserer Forbes-Oligarchen wie eine kalte Dusche wirkt.

Die Krise als Reinigung?

Die Krise kann auch einen positiven Effekt nach sich ziehen. Vielleicht spült sie die parasitäre Schicht der Schmarotzer weg, die sich um den Staat und die Staatskonzerne herum mit windigen Öl- und Gaseinnahmen und Haushaltsgeldern eingenistet hat. Für die russische Wirtschaft wäre es auch ein Segen, wenn andere Monopolisten im Baugewerbe, im Großhandel und Bankensektor weggespült würden. Und natürlich einige von den "Profis" in der Regierung. Wenn sich jemand keinen Bentley mehr leisten kann oder einer unserer Staatsdiener den 50-Millionen-Dollar-Jet verkaufen muss, ist das eine gute Nachricht.

Wen und was meinen Sie damit?

Unsere Beamtenschaft ist voll und ganz damit beschäftigt, eigene Geschäfte zu machen, bevor sie überhaupt daran denkt, Interessen des Staates zu verfolgen. In neun Jahren hat die Regierung keine zentrale Reform in Angriff genommen. Stattdessen wird Geld in Prestigeobjekte gesteckt wie die Olympischen Spiele in Sotschi oder eine Brücke auf die Insel Russki im Fernen Osten, wo der Gipfel der Asean-Staaten stattfinden soll. Dem Land bringt das nichts, die Kosten sind fünfmal so hoch wie in anderen Ländern und das Geld verschwindet in den Taschen der Bürokraten. Auch die Schröder-Pipeline ...

... die Nord-Stream-Pipeline durch die Ostsee ...

... ist so ein überflüssiges Projekt. Wir brauchen ein Modernisierungsprogramm. Unsere Infrastruktur ist veraltet und unterentwickelt. Der Staat kann keine Straßen bauen, träumt aber davon, eine neue Weltordnung zu errichten mit Moskau als Nabel der Welt. Vor zwanzig Jahren haben wir die Perestroika-Reformen zerquatscht und jetzt passiert dasselbe mit der Modernisierung.

Woran liegt die Ineffizienz des Staates? Putin hat den Staatsapparat doch gestrafft.

Ob Putin nun Order erteilt oder nicht: Jeder macht, was er will und verfolgt seine private Agenda. Die Bürokratie behindert die Entwicklung des Mittelstands, sie erschwert und hintertreibt Geschäfte. Nichts kommt vom Fleck. Das ist ein strukturelles Problem. Wo es weder Gewaltenteilung noch unabhängige Gerichte und keine freie Presse gibt, herrscht Stagnation. Natürlich ist Russland noch keine Diktatur, aber die autoritären Tendenzen bewegen sich darauf zu.

Woran machen Sie das fest?

2004 wurden die Gouverneurswahlen in den Provinzen mit der Begründung abgeschafft, der Kampf gegen den Terrorismus verlange dies. Die Terrorgefahr ist gebannt, also lasst die Gouverneure wieder vom Volk wählen, sage ich. Da das nicht rückgängig gemacht wird, hatte der Eingriff offensichtlich andere Ziele.

Der Kreml tritt gegenüber dem Westen sehr selbstbewusst auf. Ist Moskau so unabhängig wie es sich gibt?

Ein gefährlicher Trugschluss. Sehr viele große Unternehmen, darunter auch Staatskonzerne, werden vom Westen mit Milliardenkrediten versorgt. Viele davon werden jetzt fällig, und den Unternehmen geht das Geld aus. Wer diese Mär der Autarkie in die Welt setzt, handelt verantwortungslos.

Sie sind sehr kritisch gegenüber dem herrschenden Regime. Fürchten Sie nicht, eines Tages dem ehemaligen Öl-Tycoon Michail Chodorkowski ins Straflager zu folgen?

Jeder kann sich das erlauben, wenn er es will und Mut hat. Zwar wird man ihn dann nicht mehr in den staatlichen elektronischen Medien zitieren. Dort stehe ich schon seit Jahren auf der schwarzen Liste. Aber es gibt noch andere, nicht gleichgeschaltete Medien. Ich habe weder einen Sonderstatus noch mehr Freiheiten als andere. Für die herrschende Klasse bin ich ein zu winziger Fisch, als dass man sich mit mir beschäftigen würde. Unternehmer aus der Rohstoffbranche sind da gefährdeter. Nein, Angst vor Verfolgung habe ich nicht. Ich bin schon genug bestraft, weil der Staat mein Geschäft ignoriert.

Inwiefern?

Ich bin der größte Kartoffelproduzent des Landes. Vor kurzem habe ich 10.000 Hektar dazu gekauft. Das Land liegt brach, weil ich nur einen Bruchteil registrieren konnte. Dann habe ich 12 Tupolew 204 bestellt, aber nur sechs Flugzeuge erhalten. Als wichtigster Fertighausproduzent könnte ich sofort 10.000 Wohnungen bauen. Aber der Boden und die Infrastruktur sind so teuer, dass ich das Projekt erstmal gestoppt habe. So viel zum Verhältnis des Staates zu drängenden Problemen wie Wohnraum, Landwirtschaft und Transport. Der Staat entmutigt die Wirtschaft. Es ist kein Zufall, dass ich nach neuen Aufgaben in Deutschland und Großbritannien suche.

Sie wollen das deutsche Touristikunternehmen Öger-Tours übernehmen. Ist das Geschäft unter Dach und Fach?

Bis Ende Oktober hoffe ich, dass der Deal abgeschlossen ist. Mir geht es um Synergien, ich möchte Ögers Erfahrungen in der Türkei und Ägypten für den russischen und ukrainischen Markt nutzen.

Der Versuch, die angeschlagene deutsche Mittelstandsbank IKB zu erwerben scheiterte. Den Zuschlag erhielt das US Unternehmen Lone Star. Werden Sie sich bei der EU-Wettbewerbsbehörde beschweren?

Die EU-Kommission untersucht den Fall. Wenn bei der Vergabe das Wettbewerbsgesetz eingehalten wurde, beugen wir uns dem Spruch. Sollten sich aber Gerüchte bestätigen, dass Merill Lynch, die inzwischen ja auch unter die Räder der Finanzkrise geraten sind, uns bei der IKB diffamiert hat, würden wir wohl klagen.

Sie besitzen zusammen mit Michail Gorbatschow eine Mehrheit an der Nowaja Gaseta, dem oppositionellen Flaggschiff der Printmedien, für die auch die ermordete Journalistin Anna Politkowskaja arbeitete. Halten Sie sich die Zeitung für den Fall der Fälle als Forum?

Wer noch ein Fünkchen Gewissen besitzt, muss an dem Erhalt der unabhängigen Zeitung interessiert sein. Auch ich bin nicht immer mit allen Beiträgen einverstanden. Die Auflage der "Nowaja" steigt aber, und darin sehe ich ein ermutigendes Zeichen. Das Interesse der Bürger an der Politik nimmt wieder zu.

Ist das auch der Grund, warum Sie mit Gorbatschow eine neue Partei gründen wollen?

Die Partei soll all jenen ein Auffangbecken bieten, die von dem jetzigen Regime aus der Politik verdrängt wurden. Es soll eine liberale und sozialdemokratisch orientierte Partei werden. Wir können sie auch die "Partei der Straße" nennen. Sie soll endlich die Modernisierung vorantreiben.

INTERVIEW: KLAUS-HELGE DONATH

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