Ole Nymoen über Militär und Ukraine : „Wie weit möchte man die Kriegstüchtigkeit treiben?"
Ole Nymoen fragt im tazlab-Interview, wie viele Menschen noch sterben müssten, damit der Westen seinen „gerechten Frieden" bekommt.

taz lab: Die Kriegsdienstverweigerung in der Ukraine ist seit mehr als drei Jahren ausgesetzt. Herr Nymoen, Sie kritisieren das generelle Konzept der Kriegstüchtigkeit. Wie könnte die Ukraine sich aber verteidigen, wenn die Kriegsdienstverweigerung wieder eingeführt würde?
Ole Nymoen: Das ist gerade das Problem: dass jeder Staat darauf angewiesen ist, seine Bürger eben nicht entscheiden zu lassen, ob sie bereit sind, in den Krieg zu ziehen oder nicht. Denn ohne Gewaltfähigkeit der Staaten nach Innen und Außen gibt es jene nicht. Man sollte sich aber nicht nur mit einem Staat solidarisieren, sondern mit allen Menschen, die von diesen Konflikten betroffen sind. So wie die Linkspartei letzte Woche, die auf allen Seiten Opfer benennt. Denn auch in Russland werden die Leute zwangsrekrutiert und diesen staatlichen Zwang kritisiere ich.
taz lab: Was spricht konkret gegen die Einführung eines Sondervermögens für Verteidigung?
Egal, ob es über Sondervermögen oder die Schuldenbremse laufen wird, bereits jetzt gibt Deutschland knapp elf Prozent des Bundeshaushalts für Verteidigung aus. Wie hoch möchte man das noch treiben? Will man sagen, jetzt werden 20, 25 Prozent allein für Kriegstüchtigkeit der Gesellschaft ausgegeben? Da hoffe ich, dass man innerhalb der Linken eine Position dagegen einnimmt. Ich denke dabei nicht so sehr aus staatlicher Perspektive, sondern aus derer, die am Ende diesen Krieg durchleiden müssen.
Ole Nymoen ist freier Journalist und Autor. Er studierte Soziologie und Wirtschaftswissenschaften. Sein neuestes Buch heißt „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde“. Er macht außerdem den Podcast „Wohlstand für Alle“ zusammen mit Wolfgang M. Schmitt, in dem sie regelmäßig über ökonomische Themen sprechen.
taz lab: Was wäre denn ein gerechter Frieden für die Ukraine?
Ich habe den Eindruck, diesen Satz bringen etwa die Grünen vor, um weitere Waffenlieferungen zu unterstützen. Damit könne man dann gut in Verhandlungen gehen, so dass es dann ein gerechter Frieden werde. Mir wäre schon lieb, wenn es überhaupt so etwas wie Frieden gäbe. Da müssen sich die Leute, die sagen, sie wollen einen gerechten Frieden, schon die Frage gefallen lassen, wie viele Zehntausend Tote sie noch bereit sind hinzunehmen, bis ihnen die finale Grenzziehung gefällt. Die Frage finde ich zynisch. Die werde ich mir nicht stellen, das müssen dann schon diese Leute beantworten.
Es ist klar, dass weder die ukrainische Regierung noch eine Mehrheit der Bevölkerung Lust auf Gebietsabtretungen hat. Trotzdem sagt laut Umfragen eine Mehrheit der Ukrainer, dass sie durchaus bereit sind, über solche Abtretungen zu sprechen. Selbst Selenski sagt, dass man diese Gebiete teilweise nicht zurückerobern kann. Da gibt es die Einsicht, dass Frieden, den wir im Westen und in der Ukraine selbst für gerecht halten, nicht mehr realistisch scheint. Mit dieser Realität muss man lernen, im Diskurs umzugehen. Ich habe gerade nicht den Eindruck, dass das in Deutschland passiert.
taz lab: Gibt es für Sie ein Szenario, in dem die militärische Unterstützung für die Ukraine gerechtfertigt wäre und wenn ja, wie sieht das Szenario aus?
Militärische Gegenwehr ist immer notwendig, wenn ein Land in einem Vernichtungskrieg steht. Damit meine ich das, was wir in Deutschland unter Vernichtungskrieg verstehen. In so einem Fall ginge es nicht anders, weil da das Überleben des eigenen Staates mit dem Überleben der Person selbst zusammenfällt. Dann gibt es als Zivilist keine Möglichkeit, sich zu ergeben, denn man ist heillos ausgeliefert. Es gibt auch Leute, die bereits von einem Vernichtungskrieg in der Ukraine sprechen, aber das halte ich im historischen Vergleich für etwas abwegig.
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