Olaf Scholz über die Krise: "Männer blenden eher mal was aus"
Der Arbeitsminister fordert Mindestlöhne für Geringverdiener und die Reichensteuer. Aber geht das mit Westerwelles FDP?
taz: Herr Scholz, wir bieten Ihnen eine Wette an. Nächstes Jahr haben wir mehr als 5 Millionen Arbeitslose. Halten Sie dagegen?
Geburt: 14. Juni 1958 in Osnabrück.
Amt: Seit November 2007 Bundesminister für Arbeit und Soziales in der großen Koalition - als Nachfolger von Franz Müntefering. Zuvor war er von Oktober 2005 bis November 2007 Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion sowie von 2002 bis 2004 Generalsekretär der SPD.
Mitglied: Seit 1975 in der SPD.
Olaf Scholz: Ja. Es gibt bisher keine Prognose, die plausibel erscheinen lässt, dass wir im Jahresdurchschnitt 5 Millionen erreichen werden. Und wir haben schnell und beherzt das Richtige getan.
Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, hält es aber sehr wohl für möglich, dass es nächstes Jahr 5 Millionen Arbeitslose gibt.
Ja, er hält es für möglich. Aber nicht für wahrscheinlich. Das Entscheidende ist, dass wir mit der verlängerten Kurzarbeit alles tun, damit Unternehmen nicht entlassen müssen.
Das klingt ja sehr optimistisch.
Nein, realistisch. Ich glaube nicht, dass es klug ist, wenn Politiker, gerade in dieser Krise, die düstersten Prognosen für die wahrscheinlichsten halten.
Seit dem Herbst haben sich nur die düstersten Prognosen bewahrheitet. Wer im Januar sagte, es gebe ein Minus von 5 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt, galt ja als Landesverräter.
Das ist Ihre Wortwahl. Die weltweite Krise wirkt sich stärker aus, als wir anfangs gehofft hatten. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass darunter nicht Arbeitnehmer und unbeteiligte Unternehmer leiden.
Die Steuerschätzung geht von 45 Milliarden Euro weniger für 2009 aus. Die Schulden explodieren. Viele fürchten, dass am Ende die Gering- und Durchschnittsverdiener die Zeche zahlen. Zu Recht?
Ich kann das niemandem ausreden. Wir müssen die Folgen für die Allgemeinheit so gering wie möglich halten und die Verursacher in Haftung nehmen, ohne den Finanzsektor lahmzulegen. Das ist nicht einfach. Aber das Bad-Bank-Gesetz versucht genau das zu leisten: das Finanzsystem wieder flottzumachen, ohne dass der Staat am Ende zahlt. Außerdem: Die SPD will, dass, wer als Single mehr als 125.000 Euro beziehungsweise als Ehepaar mehr als 250.000 Euro pro Jahr verdient, mehr Steuern zahlt. Das ist ein unverzichtbarer Beitrag zur Gerechtigkeit.
Aber nur ein ganz kleiner - 3 Prozent mehr Steuern für Reiche. Genau diese Gruppe hat doch jahrelang vom Boom des Finanzkapitalismus profitiert.
Dazu kommt ja noch die Börsenumsatzsteuer. Und die schärfere Bekämpfung der Steuerhinterziehung. All das zusammen ist ein Beitrag zur Gerechtigkeit.
Reicht das, um die Krisenlasten gerecht zu verteilen? Die Reallöhne sind sogar im Boom nicht gestiegen. Viel spricht dafür, dass in der Krise die Löhne gedrückt werden.
Ja, diese Sorge teile ich. Umfragen zeigen, dass die Stimmung im Land schlecht ist. Das ist kein Wunder, wenn die Löhne stagnieren. Umso mehr empören mich Zeitungsartikel, in denen das schlimme Schicksal von Singles beklagt wird, die mehr als 60.000 Euro verdienen und Probleme mit dem Grenzsteuersatz haben. Das sind ideologische Versuche, vom Wesentlichen abzulenken: den schwachen Löhnen bei Normal- und Geringverdienern.
Was tun Sie dagegen?
Geringverdiener brauchen den Mindestlohn. Daran arbeiten wir. Normalverdienern hilft die Rückkehr zum Tarifvertrag. Der war lange maßgeblich für das Lohngefüge. Das ist verloren gegangen. Ich hoffe, dass wir in der Krise, mit Gewerkschaften und Unternehmerverbänden, eine Renaissance der Sozialpartnerschaft und verbindlicher Tarifverträge erleben.
Rot-Grün hat mit der Ausweitung der Niedriglöhne das Lohndumping doch selbst beschleunigt.
Nein.
Aha. Haben die Niedriglohnjobs also nicht den Druck auf die Löhne erhöht?
Nein, das ist Polemik. Robert Reich, Arbeitsminister unter Clinton, hat in dem Buch "Der Superkapitalismus" gezeigt, dass es in allen Industrieländern aus ökonomischen Gründen diese Lohnentwicklung gab. Das ist also kein Ergebnis rot-grüner Politik. Aber: Wir können mit Mindestlöhnen und renovierter Sozialpartnerschaft gegensteuern.
Die SPD will mit der FDP regieren. Glauben Sie, dass Sie dort Mindestlöhne durchsetzen können?
Ja, wir haben seit 2005, gegen den erklärten Willen der Union, die Zahl der Beschäftigten mit Mindestlohn verfünffacht. Glauben Sie mir: In einer Koalition mit der FDP werden wir die Zahl mindestens noch mal verdreifachen.
Weiß die FDP das schon?
Tief in ihrem Innern, ja.
Trotzdem wundert man sich, dass die SPD mit der FDP regieren will, die sie auf Plakaten als Finanzhaie beschimpft. Wie geht das zusammen?
Es ist doch ein spießiges Vorurteil, dass sich Politiker einig sein müssen. Es gibt Differenzen. Aber es müssen auch Kompromisse möglich sein.
Wenn man die Wirtschafts- und Sozialpolitikprogramme von SPD und FDP vergleicht, braucht man viel Fantasie, um Kompromisslinien zu finden.
Ach, die FDP hat 1976 mit der SPD sogar die paritätische Mitbestimmung in großen Unternehmen durchgesetzt.
Kein Wunder, dass Sie kein aktuelleres Beispiel finden. Wäre es nicht einfacher, Mindestlöhne in einer großen Koalition durchzusetzen als mit neoliberalen Finanzhaien?
Das weiß ich nicht. Klar ist: Schwarz-Gelb würde sozialpolitisch Grausamkeiten durchsetzen, die sich selbst deren Wähler heute nicht vorstellen können. Deshalb brauchen wir Sozialdemokraten in der Regierung.
Das war nicht die Frage. Die SPD ist in einem Dilemma: Sie führen einen Lagerwahlkampf gegen die FDP, mit der sie aber regieren wollen.
Wir werben für eine sozialdemokratische Regierung. Und wir können mit Leuten regieren, die andere Vorstellungen haben.
Im Moment sind 1,4 Millionen Menschen auf Kurzarbeit. Verschieben Sie damit nicht bloß die Massenarbeitslosigkeit auf das nächste Jahr - auf die Zeit nach der Bundestagswahl?
Nein, der Vorwurf wäre richtig, wenn die Regierung, wie 1998, kurz vor der Wahl plötzlich kurzfristige ABM-Stellen aus dem Hut zaubern würde. Wir frisieren aber keine Statistik, wir versuchen langfristig Jobs zu sichern. Wohlgemerkt nicht alle. Wo es strukturelle Gründe gibt, müssen sich die Betriebe anpassen. Aber wo viel dafür spricht, dass Jobs nur durch diese Konjunkturkrise bedroht sind, tun wir alles, um sie zu retten. Deshalb haben wir das Kurzarbeitergeld auf 24 Monate verlängert. Und zahlen auch die Sozialbeiträge für die ausgefallene Arbeit vollständig ab dem 7. Monat.
Ökonomen, von Hans-Werner Sinn bis Peter Bofinger, rechnen mit einer langen Stagnation. Sie glauben, dass die Krise nur 24 Monate dauert. Warum?
Ich hoffe das. Und es gibt ein praktisches Zeichen dafür: nämlich den Run auf die Kurzarbeit selbst. Ein Unternehmen, das gar nicht glaubt, nach der Krise die Arbeiternehmer noch zu brauchen, beantragt keine Kurzarbeit. Denn die Fixkosten bleiben ja. Kurzarbeit macht nur für Unternehmen Sinn, die auf Perspektiven nach der Krise setzen. Und auf die setzen wir.
Herr Scholz, ist das alles wirklich nur eine Konjunkturkrise? Brauchen wir nicht ein anderes Modell von Arbeit? Der Manager mit der 60-Stunden-Woche hat als Ideal doch ausgedient. Brauchen wir also Arbeitszeitverkürzung - und mehr Chancen für Frauen in der Wirtschaft?
Teils, teils. Bei Arbeitszeitverkürzung bin ich skeptisch. Was Karrieremöglichkeiten von Frauen und Lohngleichheit angeht, haben Sie völlig recht. Da liegt viel im Argen.
Die SPD fordert in ihrem Wahlprogramm eine 40-Prozent-Quote für Frauen in Aufsichtsräten. Warum?
Zuerst mal: Diese Quote geht. Das zeigt das Beispiel Norwegen, wo die Hälfte der Aufsichtsräte weiblich ist. Die quotierten Aufsichtsräte sind nicht nur ein Symbol. Sie strahlen in die Unternehmen aus und verändern langfristig deren Genderpolitik.
2001 hatte die SPD schon mal ein fertiges Gleichstellungsgesetz in der Schublade. Dort blieb es allerdings auch, weil die Wirtschaft dagegen war. Warum sollen wir glauben, dass es die SPD diesmal ernst meint?
Wer sich mit Gleichstellungspolitik befasst, kennt die Dramaturgie. Am Anfang sind die Männer empört, danach verstummen sie, dann reden sie so, wie die Frauen es gerne hören wollen. Nur faktisch passiert ist bis dahin noch gar nichts. Den Punkt müssen wir eben auch noch überwinden. Und genau das werden wir tun. Denn die Situation ist anders als 2001. Wir haben die gesetzliche Durchsetzung von Gleichstellungsinteressen ja schon verankert. Jetzt geht es darum, diese real umzusetzen. Zum Beispiel mit der 40-Prozent-Quote in Aufsichtsräten oder weiter verbesserten rechtlichen Möglichkeiten für Frauen, die den gleichen Lohn wie Männer verlangen.
Wirtschaften Frauen auch nachhaltiger als Männer? Es ist ja unbestreitbar, dass diese Krise Männer verursacht haben.
Ich glaube nicht, dass Männer und Frauen die Welt völlig unterschiedlich sehen. Aber es gibt Traditionen, die Männer besonders anfällig für Fehler macht, die zur Krise geführt haben.
Sind Männer gieriger?
Schauen Sie sich die Immobilienblase in den USA an. Es war klar, dass es nicht ewig gut geht, Geld an Leute zu verleihen, die nicht zahlen können. Das war kein Geheimnis. Es stand in Zeitungen.
Und die Fähigkeit, das Offensichtliche zu sehen, trauen Sie Frauen eher zu?
Männer blenden eher mal was aus. Da schließe ich durchaus von mir auf andere.
INTERVIEW: STEFAN REINECKE UND ULRICH SCHULTE
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