Hamburgpremiere im Schanzenpark: Jörg Siepmanns Film über die US-Tour der „Goldenen Zitronen“ : Ohne größere Verwunderung
Die Goldenen Zitronen kommen auf die Bühne, nehmen ihre Plätze ein, noch spielt niemand einen Ton. Ted Gaier fragt: „Do you believe in Rock‘n‘Roll?“ Ein Moment, der eigentlich spannungsloser nicht sein könnte, wissen doch alle, die Frage ist rhetorisch. Ein paar Leute im Publikum geben Unverständliches von sich, ein paar „Yeahs“ kämpfen sich ihren Weg durch das Gemurmel. Dann die Ohrfeige von der Bühne: „We don‘t!“ Und schon geht das Geschrammel los, das wir hier als den Sound der Goldenen Zitronen kennen, das den Ohren der meisten ihrer Zuhörer „dort“ aber seltsam vorkommen muss. Denn den Punk, den sie erwartet haben, bekommen sie nicht. Die Goldies sind auf Tour in den USA, und der Kölner Filmemacher Jörg Siepmann hat alles aufgenommen. Das Ergebnis heißt Golden Lemons und sorgte im Forum der diesjährigen Berlinale für einen kleinen Skandal.
Dort erklommen die Bandmitglieder das Podium und beschwerten sich lautstark. Alles hat der Film wohl doch nicht gezeigt. Die Kritik: Es fehlten die guten Konzerte, die zahlreichen Partys, auf denen sie gewesen seien, und ihr Widerspruch gegen falsch gestellte Fragen. Den Auftritt der Band in Berlin fanden manche eitel, denn wo gibt‘s denn so was, dass in einem Dokumentarfilm Porträtierte nachher mitreden wollen.
War es nicht so, dass die Goldenen Zitronen manchmal einfach nicht gut dagestanden haben in dem Film? Wurden sie da nicht immer wieder ausgebuht vom Publikum, das lieber gleich den Headliner des Abends, den auch dem klinischen Befund nach verrückten Wesley Willis, gesehen hätten? Ist der Film nicht wie das Publikum der Faszination von Wesley Willis erlegen, hat er nicht die Zitronen in den Rang einer Vorgruppe verwiesen? Aber zum Teufel damit, wenn es die Diskussion weiterbringt. Ja, welche Diskussion denn?
Um es ehrlich zu sagen, der Film ist vielleicht kurzweilig, aber mehr auch nicht. Er nimmt nicht, wie alle besseren Konzertfilme, Teil an einer Verwunderung. Albert und David Maysles‘ Gimme Shelter etwa begleitet die Rolling Stones 1969 durch eine Krise, provoziert durch den Tod eines Zuschauers bei einer Prügelei in Altamont. Die Tour einer deutschsprachigen und stark in der hiesigen linken Szene verankerten Band durch die USA wirft genügend Fragen auf für einen Film, der sich irritiert zeigt. Anstatt auch nach Situationen zu suchen, in denen ein Transfer gelingt, erscheinen die fünf Deutschen in den USA als Aliens, und Siepmann hat kulturpessimistische Bilder von den USA nach Europa zurückgetragen. Er zeigt noch dazu die Zitronen als typische Mucker, langweilige Verrichtungen im Tourbus, „die Jungs“ beim Plattenkauf. Die Interviewfragen – meist schamhaft herausgeschnitten – sind so klischeehaft, dass es für die Antworten kaum ein Entkommen aus ihrer Schraubzwinge gibt. Was soll man sagen auf die Frage, wie lange man noch auf der Bühne stehen will, wenn man das seit bereits 18 Jahren macht?
Golden Lemons erzählt aber zusammen mit seiner nachträglichen Ablehnung durch die Zitronen eine Menge über linke Strategien von Darstellung und Selbstdarstellung. Einzig das trotzige „We don‘t!“ lässt in dem Film die Überkomplexität erahnen, die unbedingt zu einem Auftritt der Zitronen gehört. Rockmusik machen und zugleich ihren Versprechungen misstrauen: Diese Haltung hat die Band bisher nur Leuten aus dem Freundeskreis für ihre rüden Filme anvertraut. Zum ersten Mal haben die Goldenen Zitronen einem fast Unbekannten erlaubt, ihre Subversionen darzustellen.
Wäre das gut ausgegangen, hätten vielleicht ein paar mehr als die üblichen Verdächtigen zur Kenntnis genommen, wie sie funktionieren. Ist es aber nicht, weil Siepmann, wie er auf der Berlinale freimütig zugab, vor allem sein Entsetzen über die Zustände in den USA zeigen wollte. Dass die Goldenen Zitronen ihm für eine solche Ausrichtung des Films auch reichlich Zitatfutter gegeben haben, steht auf einem anderen Blatt.
Christiane Müller-Lobeck
Do, 21.30 Uhr, Outdoor Cine, Schanzenpark; der Film startet am 28.8.