piwik no script img

Ohne Trauung teure Schwangerschaft

Das Bochumer Sozialamt will einem unverheirateten Paar die Kosten für die Geburt des Kindes aufbrummen. Das Amt zahlte der Mutter Krankenhilfe, jetzt soll der Vater blechen  ■ Von Henri Hoffmann

Hätten sie doch nur rechtzeitig geheiratet! Dann wäre Mike K. nicht diese Rechnung über 8.300 Mark ins Haus geflattert, zahlbar bis zum 31. Juli. Absender: die Stadt Bochum. Die war nämlich zunächst in Vorkasse getreten, als Mike K. im Februar Vater wurde. Für die Geburt des Kindes und den Krankenhausaufenthalt der Mutter fünf Wochen vor der Geburt, als Manuela Poppe vorzeitig Wehen hatte und die Ärzte feststellten, daß sich die Nabelschnur um den Hals des Kindes gewickelt hatte.

Zwei Wochen blieb Manuela Poppe im Krankenhaus, man hatte ihr sogar geraten, bis zur Geburt zu bleiben. Dann wäre die Rechnung, die die Stadt Bochum jetzt dem Vater präsentierte, noch deutlich höher ausgefallen. Aber auch so sind 8.355,56 Mark für den 23jährigen Elektroinstallateur kein Pappenstiel. Für diese Kosten kommt keine Krankenkasse auf, weil die junge Mutter nicht krankenversichert war. Denn mit 14 hatte sich deren Mutter von Manuelas Stiefvater getrennt, über den sie vorher versichert war. „Ich bin dann ins Heim gekommen, hab' weiterhin Schule gemacht und war dann immer über das Sozialamt versichert, weil meine Mutter zum Sozialfall wurde. Und ich hab' mir da auch keine weiteren Gedanken drüber gemacht.“

Dazu hatte sie auch keinen Grund. Nach der Hauptschule strebte Manuela eine Ausbildung zur Logopädin an, das Sozialamt gewährte ihr zunächst Sozialhilfe. So lange, bis sie im letzten Jahr mit Mike zusammenzog und Mikes Einkommen für beide gerade so zum Leben ausreichte. Das Sozialamt gewährte ihr aber nach wie vor die sogenannte „Krankenhilfe“. Die ersetzt zwar keine Krankenversicherung, praktisch waren Arztbesuche für Manuela Poppe jedoch völlig unproblematisch und kostenlos.

Daran änderte sich auch nichts, als Manuela im letzten Jahr schwanger wurde. „Ich bin dann zum Sozialamt gegangen, hab' denen auch mitgeteilt, daß ich schwanger bin und mit meinem Lebensgefährten zusammenlebe. Und hab' gesagt, daß ich 'nen Krankenschein haben möchte. Und den haben sie mir auch ohne weiteres ausgestellt, also ohne mir mitzuteilen, daß mein Lebensgefährte eventuell für die Kosten aufkommen muß. Und das lief dann so weiter, daß ich ganz normal zum Arzt gegangen bin. Ja, und erst hinterher kam dann die Forderung über 8.300 Mark.“ Gerichtet an den Vater des Kindes, denn formal hat die Mutter während der Schwangerschaft Unterhaltsanspruch gegenüber dem Vater.

Wenn die Mutter den Anspruch nicht geltend macht, kann die Stadt das tun. Formal korrekt, wie auch der Anwalt von Mike K. zugeben muß. Er mußte seinem Mandanten sagen, daß die Kosten, die in Folge von Schwangerschaft und Entbindung entstehen, vom Erzeuger zurückgefordert werden können. „Allerdings meine ich, daß das Sozialamt da auch seine Hinweispflichten verletzt hat. Das Sozialamt wußte auch schon zum Zeitpunkt der Schwangerschaft über die Vermögenssituation der Familie Bescheid und hätte sie informieren müssen, daß da ein Rückforderungsanspruch auf meinen Mandanten zukommt. Und daß da eventuell durch Heirat Krankenversicherungsschutz hätte geschaffen werden können.“

Rechtzeitig zu heiraten wäre für Manuela Poppe eine realistische Möglichkeit gewesen, sich krankenzuversichern. Freiwillig konnte sie sich nicht versichern, denn dazu hätte sie mindestens drei Monate Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung sein müssen. Sie war aber nie versicherungspflichtig beschäftigt. Hätte das junge Paar geahnt, welche Kosten mit der Schwangerschaft auf es zukommen, die beiden hätten wohl längst geheiratet.

Den Vorwurf der mangelhaften Aufklärung der Familie kontert die Stadt Bochum mit dem Hinweis, der Anspruch richte sich ja an den Vater. „Es ist nicht üblich, die Mutter über ihren Unterhaltsanspruch zu informieren. In vielen Fällen sind die Beziehungen zerrüttet, und es ist der Mutter egal, ob der Vater zahlen muß. Außerdem stand im Antrag auf Sozialhilfe auch drin: ,Unterhaltsforderungen werden geprüft.‘ Das hätte sie stutzig machen müssen“, meint Ulrike Wahl vom Presseamt der Stadt Bochum.

Mike K. trafen die Forderungen der Stadt dann völlig unvorbereitet. „Ich hab' eigentlich nach der Geburt drei Monate nichts vom Amt gehört. Für mich war das ganz klar, meine Tochter Justine ist zur Welt gekommen, und es entstehen keine weiteren Kosten.“ Mike weiß nicht, wie er von 2.400 Mark netto im Monat die Schulden zurückzahlen soll. Wenn die Stadt bei ihm pfänden würde, könnte es sein, daß sein Einkommen nicht mehr ausreicht, um die dreiköpfige Familie zu versorgen. Dann hätte Manuela Poppe eventuell Anspruch auf Sozialhilfe. Was die Stadt vom Vater einnimmt, das müßte sie dann der Mutter wieder zukommen lassen. Doch dazu werde es nicht kommen, versichert Ulrike Wahl. Bei der Rückzahlungsforderung werde man selbstverständlich „das Wohl der Familie im Auge behalten“ und gegebenenfalls niedrige Raten vereinbaren.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen