: Ohne Arbeit keine Stütze
■ Bei Arbeitsverweigerung kann Sozialamt die Sozialhilfe kürzen oder sogar ganz streichen / Gemeinnützige Arbeit muß aber dem Stützeempfänger zumutbar sein / Soziologe klagt erfolgreich gegen die Stadt Darmstadt
Kassel (ap) - Sozialhilfeempfängern kann die Hilfe zum Lebensunterhalt gekürzt oder völlig entzogen werden, wenn sie sich beharrlich weigern, zumutbare gemeinnützige Arbeiten zu leisten. Der hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel verwies in einem gestern bekanntgegebenen Urteil darauf, daß der Sozialhilfeträger außerdem die Wahl hat, die gemeinnützigen Arbeiten mit dem üblichen Arbeitsentgelt zu entlohnen oder aber weiterhin Hilfe zum Lebensunterhalt zuzüglich einer angemessenen Entschädigung für die Mehraufwendungen zu gewähren. Der Sozialhilfeträger muß dabei unter Berücksichtigung des Einzelfalles stets den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausreichend berücksichtigen, weil Sozialhilfeleistungen im allgemeinen ohne Gegenleistung zu gewähren sind. Der Verwaltungsgerichtshof entsprach damit in zweiter Instanz der Klage eines Mannes aus Darmstadt, der Soziologie studiert hatte und anschließend arbeitslos war. Der Mann erhielt zunächst vom Arbeitsamt Arbeitslosenhilfe und anschließend von der Stadt Darmstadt unter Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtung seines Vaters ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt aus der Sozialhilfe. Als der Mann es ablehnte, im Auftrag der Stadt von Montag bis Freitag jeweils von 13 bis 17 Uhr in einem Kinderhort Hausaufgabenhilfe für Schulkinder mit einer Aufwandsentschädigung von zwei Mark pro Stunde zu übernehmen, kündigte ihm die Stadt an, sie werde die Sozialhilfe zunächst um 20 Prozent und bei weiterer Weigerung um 50 Prozent kürzen und schließlich sogar ganz einstellen. Die dagegen gerichtete Klage des Mannes wurde vom Verwaltungsgericht in Darmstadt abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte jetzt beim Verwaltungsge richtshof Erfolg. Die Stadt Darmstadt muß dem Mann weiterhin Sozialhilfe zahlen. Zur Begründung erklärte der Verwaltungsgerichtshof, die Hilfe zum Lebensunterhalt könne zwar durchaus gekürzt oder eingestellt werden. Im konkreten Fall hätte jedoch die Stadt Darmstadt berücksichtigen müssen, daß der Mann nicht den vollen Regelsatz der Sozialhilfe, sondern lediglich unter Berücksichtigung der Unterhaltspflicht seines Vaters ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt in geringerer Höhe als dem Regelsatz erhalten hat. In Anbetracht des unter dem Regelsatz liegenden Bedarfs des Klägers sei es unverhältnismäßig, ihm an insgesamt 88 Stunden im Monat einen Arbeitseinsatz ohne die übliche Bezahlung abzuverlangen (AZ: 9 UE 1295/84).
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