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Archiv-Artikel

ADRIENNE WOLTERSDORF über OVERSEAS Oh Philadelphia!

Was bietet man 68er-Eltern bei ihrem USA-Besuch? Besser keine Reise zum Geburtsort der amerikanischen Freiheit

Das Symbol der amerikanischen Freiheit steht in Philadelphia und hat einen Sprung in der Schüssel. Es ist die Liberty Bell, also die Freiheitsglocke, die neuerdings im Freiheitszentrum ausgestellt wird. Da es Ostern war und meine Eltern, 68er und keine USA-Freunde, zu Besuch waren, dachten der Liebste und ich, dass eine Begegnung bei dem, was doch ganz gut an Amerika ist, das Bild zurechtrücken könnte. Also Philadelphia.

Außer der Freiheitsglocke gibt es dort die „Independence Hall“. Es ist das nette kleine Haus, in dem die damaligen Vertreter der dreizehn englischen Kolonien irgendwann die Nase voll hatten von den hochnäsigen Engländern und ihnen dann von hier aus ihre Kündigung schickten. Damals ging es wohl lediglich darum, weniger Steuern zu zahlen. Später hieß es, man habe die Welt „neu erfinden wollen“. Heute heißt es sogar, es wäre ein Projekt Gottes gewesen und der würde mit dem amtierenden Präsidenten gelegentlich sprechen.

Unser Ausflug in die kurze Geschichte der Freiheit begann damit, dass wir uns zunächst einen Termin für eine der geführten Gruppen geben lassen mussten. Dann ging es hindurch durch Souvenierläden zur legendären Glocke. Bevor wir uns aber das offenbar erst schlecht gemachte, dann gesprungene Stück anschauen konnten, mussten wir natürlich durch die Sicherheitskontrolle. Bei diesen Ostertagen handelte es sich um die kältesten seit Beginn der US-amerikanischen Wetteraufzeichnung. Der arktische Wind fegte um die historischen Hütten und eine mehrere hundert Meter lange Touristenschlange stand zitternd vor dem Securityzelt. Millimeter für Millimeter ging es vorwärts. Drinnen im Zelt ratterten schlecht gelaunte Kräfte für 5,15 Dollar Mindestlohn die Stunde die Anweisungen herunter: Taschen, Mäntel, Jacken, Pullis, Uhren, Gürtel ablegen. Sozusagen das ganze Flughafenprogramm. Viele sahen nicht ein, bei den Minusgraden Striptease zu machen, verstanden die Anweisungen nicht, wurden dafür wieder und wieder durch die Metalldetektoren gejagt. Kurz: Es war ein interessanter Auftakt, um sich der Historie des Freiheitsstrebens zu widmen.

Drinnen, im Libertycenter, gibt es einen Film zu sehen, der erklärt, wie die Inschrift der Glocke dazu führte, dass das nicht allzu große Ding zum Symbol einer Nation wurde. Auf der Krone der Bimmel steht nämlich das biblische Levitikus-Zitat: „Verkünde Freiheit im ganzen Land für alle seine Bewohner!“ Nur übersahen die damaligen Verkünder, wie auch die heutigen Filmemacher, dass es da noch die schwarzen Sklaven und die Frauen gab. Für die galt die Freiheit und Gleichberechtigung natürlich nicht, das dauerte dann noch weitere 150 Jahre. Egal, es wurde trotzdem ein tolles Symbol, zum Beispiel auf Kriegsanleihen in den beiden Weltkriegen.

Nachdem wir uns die aufgeschlitzte Glocke angeschaut hatten, wollten wir uns noch die Unabhängigkeitserklärung geben. Wir sollten quer über die Straße gehen und dann durch Metalldetektoren. Taschen, Mäntel, Jacken, Gürtel und Uhren ablegen. Herumkommandiert werden. Die Laune meiner Eltern sank im Minutentakt. Nachdem man sich das Ganze ein zweites Mal angetan hatte, sollten wir im Innenhof der Unabhängigkeitshalle eine halbe Stunde warten, und zwar in einer ordentlichen Schlange.

Wieder froren Chinesen, Europäer, Brasilianer vor sich hin, ab und zu zur Ordnung gerufen von Rangern des National Park Service in grüner Uniform und mit fetten Sonnenbrillen. Meine Eltern hatten kalte Füße und längst kein Interesse mehr an der Aufmüpfigkeit der englischen Kolonialisten. Sie wollten einen heißen Kaffee. Nachdem sich nichts vorwärtsbewegte, beschlossen wir, die Visite bei einigen leeren Delegiertensesseln sein zu lassen.

Als wir schließlich außer der Reihe über die Metallabsperrungen kletterten, erlebten wir unser rot-weiß-blaues Wunder. Ein groß gewachsener Ranger kam angeschossen und schnauzte uns an. Hier könne nicht jeder machen, was er wolle, bellte er. Ja, das war also der Geburtsort der amerikanischen Freiheit.

Fragen zur Glocke? kolumne@taz.de Morgen: Martin Reichert LANDMÄNNER