piwik no script img

Offensiv für Hauptstadt Berlin

■ Momper (West) und Schwierzina (Ost) und DDR-Ministerpräsident für Hauptstadt-Festlegung im zweiten Staatsvertrag - Sowjet-Präsenz in DDR kein Argument gegen Berlin

Bonn (dpa) - Die Stadtoberhäupter von West- und Ost-Berlin, Walter Momper und Tino Schwierzina, haben gestern Bundeskanzler Helmut Kohl förmlich zu einer gemeinsamen Sitzung von Senat und Magistrat ihrer Stadt eingeladen, um über Berlin als künftige Hauptstadt Gesamtdeutschlands zu sprechen.

Momper und Schwierzina forderten in Bonn, daß die Grundsatzentscheidung für Berlin als Hauptstadt im zweiten Staatsvertrag mit der DDR festgelegt werden solle. Die Mehrheit der Deutschen in Ost und West emfinde Berlin „als ihre natürliche Haupstadt“. Es gehe auch darum, wie sich ein 80-Millionen-Volk „adäquat darstelle“. Die Provinzialität Bonns sei da nicht mehr angemessen. Berlin solle kein „zentralistischer Moloch“ sein.Die beiden SPD-Politiker verlangten, in Bonn kein Geld mehr für neue Regierungsbauten auszugeben. Die bisher genannten Kosten für die Verlegung von 80 Milliarden Mark bezeichnete Momper als „überzogen bis grotesk überzogen“.

Der Umzug der Regierung von Bonn nach Berlin kann nach Ansicht des Regierenden Bürgermeisters Mompers innerhalb von etwa acht Jahren erfolgen, um ihn „sozialverträglich“ zu gestalten. Mit einer Teilung der Hauptstadtfuktionen - etwa den Sitz des Bundespräsidenten und den Bundesrat nach Berlin zu verlegen und Bundesrat und Regierung in Bonn zu belassen

-sind beide Stadt-Chefs nicht einverstanden. Die Bonner Regierungskoaliton signalisiert dagegen abwarten. Darüber solle ein gesamtdeutsches Parlament entscheiden. „Im Prinzip ja“, heißt es in Koalitionskreisen für eine Hauptstadt Berlin, aber „nur in Stufen“. Die Grünen erklärten, Bonn sei „nicht nur die vernünftigere und die kostengünstigere, sondern auch die zivilere Lösung“.

Am selben Strang zieht auch der Vorsitzende der DDR-CDU und DDR-Ministerpräsident De Maiziere. In einem gestern veröffentlichten Interview der 'Financial Times‘ wies der DDR-Regierungschef gleichzeitig Argumente des Bundeskanzlers Helmut Kohl zurück, daß sowjetische Truppen Ostdeutschland verlassen müßten, bevor Berlin Regierungssitz werden kann. Einige Leute scheinen nach Ansicht de Maizieres mit der Präsenz sowjetischer Truppen „glücklich“ zu sein, weil sie ihnen als Entschuldigung dafür diene, daß Berlin nicht gestattet wird, die Funktionen als Hauptstadt zu übernehmen.

Der Ministerpräsident sprach sich für einen schrittweisen Transfer westdeutscher Ministerien von Bonn nach Berlin aus. Ein einheitliches Deutschland müsse mehr „östlich“ werden, weil der Mittelpunkt zwischen Warschau und Paris „nicht Bonn, sondern Berlin ist“, sagte de Maiziere.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen