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■ Offener Brief an Johann KresnikZu voller Mund

Lieber Johannes Kresnik, mit Verwundern lese ich heute Ihre Kollegenschelte bei dpa. (Der Tanztheaterleiter der Berliner Volksbühne kritisierte in einem dpa-Gespräch den Umgang der Intendanten, Regisseure und Kollegen mit staatlichen Subventionen. 90 Prozent von ihnen seien Geldverschwender. Sie hätten keinen politischen und kritischen Anspruch/ d.R.) Ich dachte, Sie sind Choreograph mit Leib und Seele, warum müssen Sie sich denn unter die Kritiker begeben, die gerade mit Lust Ihre letzte Arbeit zerfleischen? Ist Ihr Überblick über die Berliner Theaterproduktionen so groß und Ihr Einblick in die Binnenvorgänge der Berliner Häuser so tief, daß Sie Ihre Behauptungen mit Fug und Recht aufstellen können? Geht Ihr Geifern hier nicht etwas weit, da diesmal wahrhaftig ohne jeden künstlerisch-ästhetischen Anstrich?

Selbst wenn konzediert werden mag, daß Geldverschwendung auch am Theater vorkommt, muß ich die Zahl von 90 Prozent doch bezweifeln. Woher haben Sie die? Können Sie die beweisen? (...)

Selbst wenn man mit Ihnen übereinstimmt, daß den Fernsehsendern von den Theatern etwas entgegengestellt werden muß, können Sie doch nicht sämtlichen Theatern, außer dem Ihren, politischen Anspruch und kritischen Ansatz absprechen. Was ist denn mit „Angels in America“ am Deutschen Theater, was ist mit „Ich bin das Volk“ am Berliner Ensemble, um nur zwei gerade laufende Produktionen zu erwähnen? Soweit ich weiß, haben Sie sich die Inszenierung des letzten Kroetz-Stücks am BE noch nicht angesehen. Gerne würde ich mit Ihnen darüber diskutieren, von wegen Standortlosigkeit. Um die überkommene „Rechts oder Links“-Debatte geht es doch in Ihren Inszenierungen auch längst nicht mehr. Ich sehe in Deutschland nicht „die Wunde“; es gibt viel zu sagen über die Zustände in diesem Land, Kritik auf vielfältige Weise. Die künstlerische Freiheit, die Sie sich im Umgang mit Ihren Stoffen herausnehmen, sollten Sie jedoch auch anderen lassen (...)

Daß Sie sich von einem Politiker nicht den Mund verbieten lassen, finde ich gut. Das Recht auf künstlerische Freiheit muß verteidigt werden – aber wird es denn wirklich ernsthaft bedroht? Vielleicht sollten Sie den Mund auch nicht zu voll nehmen.

Mit solidarischen Grüßen Karin Graf, Pressereferentin des Berliner Ensembles

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