Off-Tanz, Gelder, Patenschaften: Raus aus dem Getto
■ Der Förder-Etat für die Freien Tanztheater hat sich seit 1988 mehr als verdoppelt. Weil das auch nicht reicht, hat sich der Runde Tisch Tanz etwas einfallen lassen.
Einen „langen Marsch durch die Wüste“ prophezeite Kultursenator Roloff-Momin im Februar vergangenen Jahres den Tanzschaffenden Berlins. Doch dann kam es ganz anders. Inzwischen ist der Theaterrevoluzzer Johann Kresnik nach heftigen Polit-Querelen glücklich an der Volksbühne gelandet, und am Hebbel Theater ist es Nele Hertling ganz unspektakulär und leise gelungen, eine hochkarätige Choreographin an die Stadt zu binden: Susanne Linke wird einmal im Jahr mit ihrer Kompanie eine Inszenierung in Berlin erarbeiten und zur Uraufführung bringen. Weil die Proben in Berlin stattfinden, hofft man, daß sich, anders als bei normalen Gastspielen, Möglichkeiten zur Kooperation mit der hiesigen Tanzszene eröffnen.
Auch in der freien Szene hat sich zumindest finanziell der Tanz behauptet. Mittlerweile konnte sich die freie Tanztheaterszene (neben den staatlich/städtischen Opern- und Theaterhäusern) als unübersehbare dritte Ebene etablieren. Lächerliche 1,2 Prozent (22.500 DM) betrug noch 1988 der Anteil, den Tanzgruppen und -solistInnen aus dem Senatstopf für die Freie Theaterszene ergatterten. Seitdem ist die Höhe der Projektförderung für Tanz (und somit auch der prozentuale Anteil) von Jahr zu Jahr kontinuierlich gestiegen. 1993 war die Fördersumme auf 528.400 DM angestiegen (16 Prozent der Gesamtförderung). Dieses Jahr sind es zehn Gruppen, die mit einer Summe von 800.000 DM 29,6 Prozent der Projektförderung erhielten. Wichtiger als die Projektgelder, die jeweils einzelne Inszenierungen unterstützen, ist die Optionsförderung, die für drei Jahre ohne Bindung an einzelne Produktionen an etablierte Off- Gruppen geht. Auch dort ist der Etat gewachsen: Seit 1988 hat sich die Fördersumme mehr als verdoppelt, von 310.000 auf 785.000 DM in diesem Jahr.
Trotzdem: Verglichen mit den hochsubventionierten Ballettkompanien der drei Opernhäuser sind die Gelder für den Off-Tanz lächerlich – er bleibt ein Stiefkind der Berliner Kulturpolitik. Immerhin spiegelt der größere Etat die gewachsene Bedeutung des modernen Tanzes: In all seinen Spielarten, auch jenseits der festen Institutionen, entwickelte er sich im letzten Jahrzehnt zur wohl innovativsten Theaterform. Die esoterische Gattung verläßt das Getto und geht eine wilde Ehe mit der Gegenwart ein. Die Tage eines konservativ-beschränkten Formenkanons sind längst gezählt. Allerdings kann man der Berliner Off-Szene den Vorwurf selbstgenügsamer Provinzialität und gemütlicher ästhetischer Inzucht kaum ersparen: Tanz- Ereignisse sind im Sumpf des Mittelmaßes eher die Ausnahme.
Wie richtig es war, Joseph Tmim die entschieden höchste aller Projektförderungen (220.000 DM) zuteil werden zu lassen, zeigte sich am Mittwoch im Theater am Halleschen Ufer. Mit seiner neuen Produktion „Le Vent“ findet Joseph Tmim raus aus dem Berliner Getto und Anschluß an Gruppen wie „Soap“ in Frankfurt (Premierenkritik siehe gegenüberliegende Seite).
Die enorme Differenz, die zwischen den beantragten Förderungen und den tatsächlich bewilligten bei fast allen Gruppen festzustellen ist, hat natürlich viel mit den knapp bemessenen Mitteln des Beirats zu tun: Will man nicht zuviel Gruppen, die der Förderung wert sind, herausfallen lassen, gibt es wohl keinen anderen Weg. Daß Sasha Waltz, die nicht nur mit ihrer letzten Produktion „Travellog“ überzeugen konnte, statt der beantragten 300.000 nur 60.000 DM erhält, ist trotzdem unverständlich.
Um dem chronischen Geldmangel und der damit einhergehenden Beeinträchtigung der künstlerischen Arbeit etwas entgegenzuwirken, hat sich der Runde Tisch Tanz, der im allgemeinen nur noch fade vor sich hinvegetiert, etwas einfallen lassen: Durch „Patenschaften“, die die Theater für bestimmte, der Förderung besonders würdig erscheinende Gruppen übernimmt, sollen diese, über die vom Beirat vergebenen finanziellen Mittel hinaus, unterstützt werden. Das bedeutet neben der kostenlosen Nutzung der Bühne und des Distributionsapparates vor allem auch Kontaktmöglichkeiten und im günstigsten Fall daraus entstehende Einladungen zu Gastspielen.
Bislang hat sich das Hebbel Theater für Jo Fabian, das Podewil für Sasha Waltz und die Akademie der Künste für das Tanzlabor entschieden. Michaela Schlagenwerth
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