Off-Kino : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Wie sehr das große Publikum doch darauf fixiert ist, halbwegs plausible Handlungen auf der Leinwand zu betrachten, die keine allzu großen Fragen offen lassen, konnte man gut erkennen, als 1960 Michelangelo Antonionis „L’Avventura“ ins Kino kam. Heute würde ein derartiger Film gleich als „Arthouse“ vermarktet werden, doch damals war das noch „großes“ Kino und wurde dementsprechend wahrgenommen und diskutiert. Für ungeheure Irritation sorgte dann auch die Konstruktion des Plots: Da verschwindet eine junge Frau nach einer halben Stunde bei einem Bootsausflug auf sehr mysteriöse Weise – und bleibt verschwunden, ohne dass die Sache jemals aufgeklärt würde. Viel wichtiger ist in „L’Avventura“ nämlich die sinnlose Suche, aus der sich eine neue Figurenkonstellation ergibt, und die ein Stück weit auch ein Sinnbild ist für die Bindungslosigkeit des modernen Menschen sowie seine Angst und Unsicherheit im Angesicht der Veränderung. Und dass sich alles ständig verändert, verdeutlicht Antonioni nicht allein durch die Handlung, sondern auch durch die Settings und die Bildarrangements: Altes wird abgerissen, Neubauviertel entstehen, ziemlich verloren stehen und gehen die Protagonisten in den neuen städtischen Betonwüsten herum. Und die perfekte Verkörperung von Neurosen und Sinnkrisen in Antonionis Filmen war Monica Vitti, die wie später in „Die Nacht“, „Liebe 1962“ und „Die rote Wüste“ auch in „L’Avventura“ als Freundin der Verschwundenen ganz rätselhaft und kühl daherkommt.
Kühl geht es auch in den stilisierten Gangsterfilmen von Jean-Pierre Melville zu: In „Der Chef“ (1972) geht Kommissar Coleman (Alain Delon) seinem Beruf mit genau derselben Kälte und Skrupellosigkeit nach wie der Nachtclubbesitzer Simon (Richard Crenna) seinen verbrecherischen Plots. Tatsächlich sind die Protagonisten sogar gut miteinander bekannt – und lieben dieselbe Frau. Doch Colemans Motto lautet: „Zweierlei Empfindungen ruft der Anblick eines Menschen in einem Polizisten wach: tiefstes Misstrauen und Verachtung.“ Und so wird er bei seinen Ermittlungen rücksichtslos prügeln und erpressen, bis auch Simon seinem Schicksal nicht mehr entgehen kann. Zwar gehörte die Auflösung moralischer Werte und die Austauschbarkeit von Polizisten und Gangstern zu den stets wiederkehrenden Motiven in Melvilles Filmen, doch hat der französische Regisseur in keinem anderen seiner Werke diese Austauschbarkeit so weit getrieben.
Die „Komödie ums Geld“ entstand 1936 in der Exilzeit von Max Ophüls in Holland: ein mit nur kargem Budget ausgestattetes Werk um einen Kleinbürger, der eine seinem Arbeitgeber gehörende Tasche voller Geld verlegt. Die Wendungen um den aus diesem Missgeschick resultierenden gesellschaftlichen Abstieg und den mysteriösen Wiederaufstieg der biederen Familie erweisen sich als ungeheuer vertrackt, doch die Aussage des Films bleibt deutlich: Eigentlich geht es nicht um den Einfluss des realen Geldes, sondern um die Macht, welche die Vorstellungen von Reichtum über die Menschen besitzen. LARS PENNING
„L’Avventura“ 23. 3. im Babylon Mitte
„Der Chef“ 23. 3. im Z-inema
„Komedie om geld – Komödie ums Geld“ (OmU) 26. 3. im Arsenal