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Archiv-Artikel

Off-Kino Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

Die Fans von Neil Young finden sich meist in zwei Lagern wieder: Die einen mögen vor allem den Sänger countryesker Balladen, die anderen freuen sich eher über die Rock-’n’-Roll-Lärmorgien, die der gebürtige Kanadier seit fast vierzig Jahren mit seiner Band Crazy Horse veranstaltet. Wenigen Leuten gefällt beides, und insbesondere den Balladen-Freunden sträuben sich angesichts Youngs frei flottierenden Gitarrenspiels jenseits aller bekannter Tonarten gern einmal die Nackenhaare. Doch bei Crazy Horse geht es eben nicht darum, die Töne sauber zu treffen, sondern um die im Zusammenspiel freigesetzte Energie. Jene hat Regisseur Jim Jarmusch in seiner 1996 entstandenen Dokumentation „Year of the Horse“ überzeugend eingefangen. Der Rohheit der Musik begegnet Jarmusch mit der Rauheit des Materials: „Proudly filmed in Super 8“ heißt es im Vorspann, was allerdings vorwiegend für die Interviewsequenzen gilt, für die Jarmusch seine Protagonisten einfach in einem kargen Raum auf einen Stuhl gesetzt hat. Man spricht über die Geschichte der Band, über Leute, die im Lauf der Jahre verloren gingen, und vor allem immer wieder über die enge Verbundenheit der Musiker zueinander. Die kommt auch in den auf 16-mm-Material festgehaltenen Konzertaufnahmen zum Ausdruck, wenn die Bandmitglieder auf der Bühne immer einander zugewandt ganz eng beieinander stehen: Eine Inszenierung für die Kamera gibt es da nicht. Zu sehen ist „Year of the Horse“ im Rahmen einer Jim-Jarmusch-Retrospektive im Arsenal-Kino.

Neben Marcel L’Herbier und Abel Gance gehörte Jean Epstein zu den seinerzeit sehr geschätzten Größen des französischen Kinos der Stummfilmzeit. Heute hingegen ist der Regisseur nahezu vergessen, vielleicht auch, weil sein Werk nicht sehr homogen wirkt – Epstein drehte Dokumentarisches, Avantgardistisches und Naturalistisches, man konnte ihn nie so recht einordnen. „La glace à trois faces“ (1927) galt damals als avantgardistischer Film und stellt einen Versuch dar, in drei Episoden die unterschiedlichen Seiten eines Mannes zu porträtieren, jeweils gesehen aus dem Blickwinkel von drei Frauen, die ihn lieben. Die eine betrachtet ihn als grausam egozentrischen Salonlöwen, eine Bildhauerin findet ihn schwächlich und schnell erschöpft, die „normale“ Lucie erinnert sich an Ruderbootpartien und den Ausflug ins Bierlokal. Die Sequenzen sind diskontinuierlich geschnitten, Zeitebenen verschwimmen, Überblendungen und 360-Grad-Schwenks sorgen für Irritationen und Schwindelgefühle. Im Babylon Mitte gibt es das 40-minütige Werk mit Klavierbegleitung.

Ebenfalls von Epstein stammt der Film „La belle Nivernaise“ (1923), eine eher lyrisch-naturalistische Schilderung des Lebens auf einem Schleppkahn, die zu den kürzlich restaurierten Raritäten der Cinémathèque Française gehört, jenem für die Bewahrung der Filmgeschichte so ungeheuer wichtigen Ort, der jetzt das siebzigjährige Jubiläum seines Bestehens feiert und darob mit einer Filmreihe im Arsenal geehrt wird. LARS PENNING

„Year of the Horse – Neil Young and Crazy Horse Live“ (OmU) 7. 10. im Arsenal

„La glace à trois faces“ (Der dreiflügelige Spiegel) 4. 10. im Babylon Mitte

„La belle Nivernaise“ (OmU) 7. 10. im Arsenal