Österreichs Umgang mit Migranten: Acht Jahre alt und abgeschoben
Flüchtlingspolitik in der Alpenrepublik: Mit vorgehaltener Waffe werden zwei Achtjährige nach Kosovo deportiert, während ihre Mutter in der Psychiatrie sitzt.
Selbstkritik gehört nicht zu den Stärken von Österreichs Innenministerin Maria Fekter (ÖVP). Doch der Wirbel, den die Abschiebung zweier achtjähriger Zwillingsmädchen aus dem Kosovo ausgelöst hat, nötigte am Mittwoch selbst der Eisernen Lady des Kabinetts eine Reaktion ab: "Auch mich hat das sehr berührt." Daniella und Dorentina Komani wurden am 6. Oktober gemeinsam mit ihrem Vater August am frühen Morgen von schwerbewaffneten Polizisten der Anti-Aufruhr-Einheit Wega abgeholt und in Abschiebehaft verfrachtet. Nicht einmal ihre Kuscheltiere durften sie einpacken. Was den Fall besonders dramatisch macht: Mutter Vera Komani liegt seit einem Nervenzusammenbruch in einer psychiatrischen Klinik. Sie wusste gar nicht, dass Mann und Kinder inzwischen nach Prishtina verfrachtet wurden.
Familie Komani flüchtete 2004 aus dem Kosovo und lebte seither in der oberösterreichischen Industriestadt Steyr. Die Mädchen waren gute Schülerinnen und in der Pfarrkirche St. Anna als Ministrantinnen aktiv. Vater Augustin hatte Arbeit und half freiwillig bei der Restaurierung der Kirche. Dass die Komanis bestens integriert waren, spielte aber für die Entscheidung des Asylgerichtshofs keine Rolle: 2004 herrschte im Kosovo kein Krieg mehr, daher besteht kein Asylgrund. Die Abschiebung sei also gesetzeskonform erfolgt, insistierte Fekter. Aber in Zukunft werde man trachten, Kinder nicht mehr mit bewaffneten Beamten abzuholen. Man werde sie auch nicht in Zellen stecken, sondern in "familiengerechten Einrichtungen" unterbringen.
"Es gibt keine kindgerechte Abschiebung", hält dem Michael Chalupka entgegen, der Direktor der evangelischen Diakonie. Gemeinsam mit Vertretern der katholischen Caritas, von Amnesty International und den SOS-Kinderdörfern übergab er gestern Vormittag im Parlament einen offenen Brief an die Abgeordneten, in dem ein echtes Bleiberecht gefordert wird.
Ob die Abschiebung tatsächlich zu Recht erfolgte, ist unter Juristen umstritten. Verfassungsrechtler Theo Öhlinger wendet ein, dass das in Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Recht auf Familienleben verletzt worden sei. Manche Kommentatoren mutmaßen, dass die ÖVP mit demonstrativer Härte wenige Tage vor den Gemeinderatswahlen in Wien noch Stimmen von FPÖ-Sympathisanten absahnen wollte. Das wäre gründlich schiefgegangen: Die ÖVP wurde mit dem bisher schlechtesten Ergebnis gedemütigt, die FPÖ triumphierte.
Noch während Fekter am Mittwoch am Rande einer Veranstaltung in Linz mehr Behutsamkeit beim Umgang mit Kindern versprach, wartete die Fremdenpolizei in Wien vor der Schule der 14-jährigen Armenierin Araksya Manukjan, um sie gemeinsam mit ihrer Mutter Roza nach Ungarn abzuschieben. Araksya erfuhr vom Direktor, was sie erwartete, und packte ihre Sachen. Seither fehlt von ihr jede Spur. Deswegen musste auch die Mutter wieder freigelassen werden. Laut Volkshilfe, die Mutter und Tochter seit Jahren betreut, ist Roza M. akut suizidgefährdet und hat bereits einen Selbstmordversuch hinter sich. Ungarn sei zuständig, weil die beiden von dort nach Österreich eingereist seinen, so der Verwaltungsgerichtshof im September nach einer mehr als vierjährigen Prüfung des Falles.
Selbst die SPÖ, die alle Verschärfungen von Fremden- und Asylrecht in den letzten Jahren mitgetragen hat, setzt sich für die beiden Armenierinnen ein. Fraktionschef Josef Cap plädierte für eine neuerliche Prüfung, ob nicht humanitäres Bleiberecht gewährt werden könne. Eine Humanisierung der Gesetze hält er aber genauso wenig für notwendig wie die Innenministerin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene