Ökonomisch gesehen macht Terror leider Sinn: Der Hund ist schlimmer als der „Islamischer Staat“
Kapitalozän
Ingo Arzt
Es ist ein ruhiger Abend auf dem Sofa, ich denke über Terror und die Ökonomie der Aufmerksamkeit nach, kraule den Hund, als der unverrichteter Dinge aufsteht, gemütlich in den Flur trottet und auf den Teppich kotzt.
Wie? Wie lassen sich Terrortote in Istanbul, Bagdad oder Berlin in Medienwert umrechnen? Also in kostenlose Einschaltquote für die Täter, pro Opfer, im Vergleich zu Bezahlwerbung, mit der die Ziele des Terrors doch auch kommuniziert werden könnten.
Der Hund schlurft zurück und macht sich auf seiner Decke lang. Das ist überhaupt nicht zynisch gemeint.
Wir leben in einer total durchökonomisierten Welt. Alles wird in Geld umgerechnet, wir verhökern das Private. Die Währung heißt Aufmerksamkeit. Die Theorie dazu ist Jahrzehnte alt. Wir sollten grundsätzlich darüber nachdenken, wie wir die Aufmerksamkeitsfinanzierung des Terrors austrocknen können.
Die mediale Sendezeit bei Anschlägen geht geschätzt zu 50 Prozent an die Täter. Wir wissen am Ende, welche Pantoffeln ihre Großeltern tragen. Mich würde viel mehr interessieren, ob die Türkei aufgehört hat, den IS zu finanzieren und warum Bundesregierung und EU keinen Druck in die Richtung ausgeübt haben. Ich finde es seltsam, wie viel des Kapitals Aufmerksamkeit wir darin investieren, Terror ständig als religiös-fundamentalistisches Problem von radikalisierten Individuen präsentiert zu bekommen, statt als aus der Kontrolle geratenes, machtpolitisches Spiel.
Da steckt ein Dilemma dahinter. Jeder will informiert werden, wenn Fanatiker Menschen töten, je näher am eigenen Lebensumfeld, desto mehr. Aber es gibt ein Punkt, an dem Beschäftigung mit Terror kippt. Dann wird es eine Befriedigung voyeuristischen Entsetzens, eine Lust am kollektiven Erschaudern. Dann finanzieren wir die Täter mit unserer Aufmerksamkeit. Die wollen nämlich gar nicht ins Paradies. Die wollen ins Fernsehen.
Meine persönliche Lösung ist der Hund. Was er macht, das ist wahrer Terrorismus. Er versucht nicht, mit Lkw oder Angst unsere wie auch immer gearteten westlichen Werte zu zerstören, als ob man Werte tot fahren könnte. Nein, er schafft mich mit seiner Lässigkeit: Da müht man sich als Abendland Jahrhunderte lang ab, um sich von Religionshörigkeit, der Unterdrückung des Sex, mythischen Ängsten und allerlei Hypochondrien zu befreien und was macht der Hund?
Im Akt des Hinkotzens auf das einzige Stück Teppich in der verdammten Wohnung beweist der Hund genau die universelle Freiheit, nach der es doch zu streben gilt. Stellen Sie sich vor, Sie leben mit Servicerobotern, dreimal so groß wie Sie selbst, die machen Ihnen Essen und putzen hinter Ihnen her, während Sie nackt durch die Welt rennen und nach Gutdünken ins Eck kacken. Wir würgen mühevoll am Weltgewölle mit und sehen doch nicht, dass sein Endzustand mitten unter uns bellt. Das Leben des Hundes ist die reale Utopie, die alles utopische zerstört. Damit sind wir nichts.
Kurzum, es wäre aufmerksamkeitsökonomisch doch sehr interessant, wenn bei Terror alle einfach mal die Köter kraulten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen