■ Ökolumne: Entprivatisierung des Autos Von Markus und Carsten Petersen
Warum fahren eigentlich private Autos auf öffentlichen Straßen? Warum hat jedermann das Recht auf einen kostenlosen Parkplatz, während der Blumenverkäufer an der Ecke Standgebühren bezahlen muß? Warum ist es jedem und jeder gestattet, Luft, Ruhe, Raum zu mißbrauchen, während diese Güter immer wertvoller, weil immer knapper werden? Konventionelle Wirtschaftswissenschaftler haben eine Antwort: Solange öffentliche Güter in ausreichender Menge zur Verfügung steht, ist öffentliches Eigentum effizient. Davon kann allerdings heute nicht mehr die Rede sein: Staus, Krach und Gestank zeigen das Ende des zur Verfügung stehenden öffentlichen Raums an.
Die Autos werden zwar leiser und sauberer, die Verkehrsorganisation wird raffiniert bis zum Leitsystem, das eigentlich eine Straßenbahn mit vielen Fahrern ist. Jeder kleine Fortschritt wird jedoch zunichte gemacht durch die Vermehrung der stinkenden Masse. Warum aber ist das Auto so heillos attraktiv? Im Lebensraum Auto kann ich meine Musik hören, ich kann es einrichten wie mein Wohnzimmer, es ist die Fortsetzung meines Privatlebens. Gleichzeitig werde ich gesehen, kann in andere private Räume sehen, ich bin dem öffentlichen Leben in seiner Schrumpfform Verkehr angeschlossen. Aber es ist kein wirkliches öffentliches Leben. Autos sind privat, weil das den schnellen Zugriff und flexiblen Einsatz garantiert. Das ist jedoch der direkte Grund für seine niedrige Auslastung (eine Stunde am Tag!), die zu der „Autoinflation“ führt, die den öffentlichen Raum zerstört. Ich kann mich heute weder auf der Straße unterhalten, ohne meinen Gesprächspartner anzuschreien, noch kann ich in meinem Auto zu meinem Ziel gelangen, ohne meine Zeit und meine Nerven unerträglich zu strapazieren. Dergestalt ist sowohl das Öffentliche (Reden auf der Straße) als auch das Private (Autofahren) in unseren Städten unmöglich geworden. Der Wunsch, das Private unendlich auszudehnen, hat zum Kollaps des Öffentlichen geführt.
Viel näher als die Forderung der neoklassischen Wirtschaftler nach einer Privatisierung des überlasteten öffentlichen Raums liegt die gegenteilige Strategie: die Entprivatisierung des Autos. Das Extrem dieser Strategie heißt „Öffentlicher Personennahverkehr“. Der Transport vieler Menschen auf engem Raum entlastet den öffentlichen Raum. Die Folge ist jedoch der Verlust an Flexibilität. Für Wege, die viele Menschen zur gleichen Zeit antreten, etwa zur Arbeit, ist öffentlicher Verkehr optimal, für den Familienausflug, den Möbelkauf, den Spätfilm ist er weniger gut geeignet.
Ein Lösungsweg zwischen beiden Positionen wird von Car-Sharing-Projekten beschritten. Bei der Berliner „Stattauto“ teilen sich 1.200 Menschen 95 Autos, die in 18 nachbarschaftlichen Pools zusammengestellt sind. „Stattautos“ sind nicht privat, sondern stehen einem begrenzten Mitgliederstamm zur Verfügung, sind somit auch nicht öffentlich. Durch die Schwächung des Privatbesitzes am Auto ergeben sich Veränderungen im Verhalten der Verkehrsteilnehmer: Die Mitglieder identifizieren sich nicht mehr mit dem Auto. Sie bezahlen nicht für die Autohaltung, sondern nur für ihre Fahrten und den geringen Mitgliedsbeitrag; der Quasi- Zwang, das eigene Auto regelmäßig zu nutzen, fällt weg. Vor jeder Fahrt wird Rationalität und Ökonomie des Autos erwogen. Da es meistens das teuerste Verkehrsmittel ist, wird es selten gewählt, statt dessen viel häufiger Bus, Fahrrad oder die eigenen Füße.
Stellen wir uns vor: An jedem Häuserblock stehen 10 bis 15 Autos, genug, daß jeder bei Bedarf eins bekommt. Meistens fährt man mit Bahn oder Bus, weil's viel bequemer ist, nach dem Kaffee seine Morgenzeitung zu lesen, als ein Kfz zu steuern. Abends spielen wir auf den Straßen Boule oder flanieren mit der Großmutter Unter den Linden, deren Duft wir wieder wahrnehmen. Irgendwann werden wir erwachsen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen