piwik no script img

■ ÖkolumneDer Kabeljau hat keinen Airbag Von Manfred Kriener

Die gute Nachricht zuerst. Das „Gute“ an dieser Öl- Katastrophe ist, daß sie in Großbritannien vor unser aller Augen stattfindet. Anders als beim letzten geplatzten Tanker vor der spanischen Küste garantiert dies zumindest ein breites Medienecho und entsprechende Empörung in heimischen Wohnstuben. Immerhin. Als im Dezember 1987 vor der philippinischen Küste der Tanker „Victor“ nach einer Kollision mit einem Fährschiff explodierte und 4.317 Menschen in den Tod riß (ebensoviele starben bei der Giftkatastrophe in Bhopal), rüttelte diese Schreckensmeldung – ohne die entsprechenden Fernsehbilder – kaum mehr Menschen auf als eine Meldung des Bundes für Steuerzahler.

Dreimal täglich werden also in den nächsten Tagen ölverschmierte Vögel in ihrem Todeskampf von den Kameras formatfüllend auf die Mattscheibe gezoomt. Mütter werden das Bügeleisen beiseite stellen und erschreckt auf die zappelnden schwarzen Klumpen starren, bevor Väter die Heizung ein wenig höher stellen und Söhne auf dem Erdboden rutschend mit ihren gut bespoilerten Weihnachtsgeschenkautos brummend um die Ledersessel kurven. Alle drei werden mit dem Kopf nicken, wenn im anschließenden Interview die Greenpeace-Frau vor Ort schärfere Gesetze, doppelwandige Schiffe, andere Fahr-Routen und besser ausgebildete Mannschaften verlangt. Und alle drei wissen doch, daß der nächste aufgeschlitzte Tankerbauch nur eine Frage der Zeit sein wird.

Die nächste Katastrophe kommt bestimmt, hatten Journalisten am Ende ihrer letzten Katastrophenberichte aus Spanien geschrieben. Und sie konnten sicher sein, daß sie wenigstens dieses eine Mal recht behalten würden. Darf aber ein Ereignis, das mit naturgesetzlicher Regelmäßigkeit immer wiederkehrt, noch als Katastrophe bezeichnet werden? Katastrophen haben etwas Plötzliches und Unerwartetes, Tankerunglücke kommen dagegen so sicher wie die Weihnachtskarte vom Autohändler. Sie sind absehbar und statistisch berechenbar, und sie sind bei inzwischen mehr als 3.000 Tankern auf den Weltmeeren unvermeidlich. Im Jahre 1989 registrierte der Oil Spill Intelligence Report, ein wöchentlich erscheinender Newsletter, der sich ausschließlich mit Tankerhavarien beschäftigt, weltweit 40 Unfälle, bei denen mindestens 50.000 Liter Öl ausgelaufen sind, 1990 – ein „gutes Jahr“ – waren es nur 32Unfälle.

Weil es die Katastrophe braucht, um Umweltpolitik voranzubringen, könnten dem monströsen Bauch der „Braer“ neben 85.000 Tonnen Öl auch neue schärfere Bestimmungen für die Tankerflotte entströmen. Verklebte Vögel, verölte Lachsfarmen und geschwärzte Küstenstreifen verlangen Antworten. Doch mit doppelwandigen Schiffsrümpfen und besser ausgebildeten Mannschaften allein ist das Problem nicht zu lösen. Daß sie notwendig sind, wird niemand bestreiten, doch sie können allenfalls die Unfallrate ein wenig liften. Daß indes selbst mit Dreifach-Wandungen wenig auszurichten ist, wenn ein Schiffsriese von 150.000 Tonnen Gewicht auf einen Felsen donnert, ist schlichte Physik. Die Schiffe müßten so dick bepanzert sein, daß sie nicht mehr schwimmen. Wer Tankerunglücke vermeiden und wirklich die „Ursachen“ bekämpfen will, muß auch die Frage nach der Größe dieser Schiffe stellen. Das Risiko für eine Katastrophe ist nämlich genau so groß wie die Ölmenge, die im Bauch dieser Monster wabert. Solange sie 300 Meter lang sind und genug Öl transportieren, um 100.000 Haushalte ein Jahr lang zu versorgen, solange bleiben sie schwer manövrierbare, anfällige Zeitbomben.

Die andere Katastrophen-Ursache steht in unserer Garage und heißt Mercedes S-Klasse oder BMW 7er- Reihe und bietet mit Airbag, ABS und Seitenaufprallschutz soviel Sicherheit wie nie zuvor – bei 28 Litern Verbrauch. Schade ist nur, daß der Kabeljau noch keinen Airbag hat. Schade ist auch, daß diese Katastrophenursache und der maßlose Ölverbrauch des modernen Energiesklaven in keiner Analyse vorkommt. Und so wünscht man sich manchmal, daß Stuttgart und München an der Küste lägen, mit Blick auf das Meer. Ganz da oben in den Shetlands. „Blobb, blobb, blobb“, würde die schwarze Brühe über die Mahagoni- Schreibtische der Chefetagen ihre schwarzen Blasen ziehen. Hach, wäre das ein Clean-up!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen