■ Ökolumne: Atomare Helden Von Niklaus Hablützel
Der Zeuge Wolfgang Repke ist über jeden Verdacht atomkritischer Neigungen erhaben. Der Ingenieur, Mitarbeiter der „Colenco Power Consulting AG“ hat im letzten Sommer Tschernobyl besucht. Er berichtet in der neusten Ausgabe der Zeitschrift atomwirtschaft- atomtechnik folgendes aus dem innersten Bezirk der Katastrophe: „Im Reaktorgebäude des Blockes 3 ist in die Wand zu dem explodierten Block 4 ein Grabstein eingelassen mit ukrainischer Inschrift, Skulptur und kleinem Altar mit einem Blumensträußchen in der Vase, darauf: Hinter dieser Wand hielt Valery Illiz in Erfüllung seiner Pflicht aus, als ihn am 26.4.86 die Trümmer des zusammenbrechenden Reaktorgebäudes begruben. Er konnte nicht geborgen werden. Von Zeit zu Zeit kommen seine Angehörigen an diesen Grabstein im Reaktorgebäude des Blocks 3 und gedenken seiner, der mit dem Reaktorkern des Blockes 4 unter dem riesigen Sarkophag liegt.“
Wehe dem Land, das solche Helden nötig hat: Diese Warnung ist heute nützlicher als die andere, bei jeder Gelegen-Foto-Nr. 4
heit wiederholbare vor dem nächsten Supergau. Wir sind davongekommen. Die Angehörigen des Valerey Illiz trauern „von Zeit zu Zeit“, wie der Zeuge RepkeFoto: Katharina Eglau
schreibt. Der strahlende Tee aus der Türkei, das Rentierfleisch aus Schweden, die tickende Milch aus Bayern: Wer mag in Deutschland davon noch reden, wenn Flüchtlingsheime brennen? Die atomare Katastrophe, die mit Tschernobyl so nah schien, wirkt unwirklich und vergangen, seit mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Systeme ganz andere, nämlich soziale Erschütterungen im Westen fühlbar sind. Geblieben ist nur ein Bedürfnis nach katastrophalen Nachrichten. Risse in westdeutschen Reaktoren haben Tschernobyl in Erinnerung gebracht. Eben noch fesselten brennende Tanker die Aufmerksamkeit.
Die wirtschaftliche Krise wird beide verdrängen. Darüber läßt sich behaglich jammern. Besser wäre es, das ökologische Bewußtsein selbst in Kur zu schicken. Es hat jahrelang von Katastrophen gelebt, von möglichen Katastrophen zu Hause oder wirklichen Katastrophen, die sich in jenen Entfernungen ereignen, die Bekundungen der Fernstenliebe nun mal erfordern.
Damit ist keine Politik mehr zu machen. Menschen, die aus verwüsteten Ländern fliehen, werden mit Staunen die Existenz eines Vereins zur Kenntnis nehmen, der sich „Eltern für unbelastete Nahrung“ nennt. Und jenen anderen Deutschen, die sich zweitklassig fühlen, weil ihnen täglich bewiesen wird, daß sie es sind, geht es kaum anders. Nur schlagen sie zu, wo sie sich stärker glauben: Gegen die Fremden, die ihnen den Rest an Wohlstand streitig zu machen scheinen.
Mit noch größeren, globalen Gefahren ist dagegen kaum zu argumentieren, brennende Flüchtlingsheime sind Signale einer sozialen Katastrophe, die weit schlimmer ist als ein schon wieder leicht erhöhter Nitratgehalt im Trinkwasser. Es hilft auch nichts, darauf hinzuweisen, daß die Qualität des Wassers wie der Luft und des Bodens langfristig über unser aller Leben entscheidet. Denn das Bewußstsein überall bevorstehender Katastrophen ist auch das Produkt relativ ziviler Jahre relativen sozialen Friedens. Weder gewaltsame, nationalistisch überhöhte Verteilungskämpfe noch auch ihre diktatorische Befriedung von oben werden ökologische Reformen befördern; beides ist immerhin denkbar und beides schließt auch nur den Gedanken an einen Ausstieg aus der Industriegesellschaft aus.
Aber ökologisches Bewußtsein ist von Hause aus gar kein Bewußtsein stets drohender Katastrophen, sondern ein Bewußtsein stets wirksamer Abhängigkeiten und labiler Gleichgewichte. Die Graswurzel-Kur, die nötig ist, schärft vielleicht auch den Blick für weniger apokalyptische, als vielmehr menschliche Katastrophen – den Blick für Valery Illiz.
An ihm, dem Helden atomarer Pflichterfüllung, nicht an der wenig wahrscheinlichen Verseuchung des Unterelberaumes, sind die hochbezahlten Experten zu messen, die über Röntgenaufnahmen von Schweißnähten gebeugt die Frage klären, ob Schäden an deutschem Kraftwerksstahl vor, während oder nach der Montage entstanden. Daß davon unser Leben abhängen soll, ist keine Vision eines drohenden Infernos, wohl aber Stoff für eine deutsche Komödie von allerdings katastrophaler Mittelmäßigkeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen