■ Ökolumne: Familie nach Plan? Von Mechthild Jansen
Mittlerweile sind auch die letzten alarmiert: Das Bevölkerungswachstum droht, sagen die Experten, die ganze Welt zu verschlingen. Wie eine Seuche verbreiten sich Megametropolen im Süden, Trinkwasserknappheit, Flüchtlings- und Migrations„wellen“. Im Gewande der Wissenschaftlichkeit werden spekulative Berechnungen zur unerschütterlichen Tatsache. Das Bedauern gilt weder den Armen noch künftig Geborenen und Gebärenden, sondern uns, denen die Sintflut vor Augen steht. Vorsintflutlich sind deshalb auch die Lösungsvorschläge, bevorzugt für das Behandlungsobjekt Frau. Es sei denn, die Opfer werden als Schuldige gleich sich selbst überlassen. Warum auch müssen ausgerechnet die Tröpfe und Minderbemittelten soviel Brut werfen?
Im Angebot findet sich, was unsere Zivilisation so zu bieten hat: „Verhütungs“mittel, kriminelle Gesundheitsschädlichkeit ist im Zweifel nebensächlich, und „Entwicklungs“programme, ökologische und humane Unverträglichkeit eingeschlossen, wahlweise wirtschaftlich angereizt, mental oder körperlich erzwungen. Ist die Konjunktur gut, gibt es Geld für Entwicklung, und die soll das Bevölkerungswachstum senken. Ist sie schlecht, wird der „ungedeckte“ Markt mit Verhütungsmitteln belebt und soll sinkende Geburtenrate Entwicklung gedeihen lassen. Der Markt entscheidet über die Vermarktung. Geplant wird weiterhin nur bei der Familie, einer abhanden gekommenen Institution, mit der die Inhaftnahme der Frau für alle Reproduktionsarbeit umschrieben wird. Der Erfolg dieser Politik ist mager, erst recht bei leeren Kassen.
Deshalb folgt schon fast logisch die neueste Variante von Bevölkerungspolitik, der Ruf nach empowerment, reproduktiven Rechten und Gesundheit für die Frau, eine besondere Art der Berücksichtigung unübersehbarer Frauenbewegungen. Die Frau soll in dem Moment von allen Abhängigkeiten frei sein und für sich selbst sorgen, wo es weniger Arbeitsplätze, Löhne und Sozialetats denn je gibt, also zusehen, wo sie bleibt. Oder gibt es etwa gleichzeitig eine 50prozentige Quotierung in Politik und Wirtschaft? Da wird die einzig konsequente päpstlich-fundamentalistische Alternative an Attraktivität gewinnen. Die Reiter gegen die „Anti-Baby-Mentalität“, „Kultur des Todes“, „Abtreibungskonferenzen“, „folgenlose Sexualität“, den „Sturz der Familie“ und für die Gottesordnung verheißen wenigstens noch altertümlichen Schutz.
Als Subjekt wird die Frau immer noch nicht ernst genommen. Man geht auf sie ein, insofern es hilft, daß sie weniger Kinder produziert oder auch mehr, je nachdem ob sie in Deutschland oder Afrika lebt. Erst recht verbietet es sich, die schöne Welt von Technik, Kon-Foto: privat
sum und Machismo durch sie in Frage stellen zu lassen. In breiter Schweigsamkeit verharren die Männer bezüglich ihres Handlungsbedarfs. Obwohl sie mehr Kinder wollen, Verhütung selbst für die Frau oft ablehnen, um sie allein zu besitzen, sich um die Familie einen Dreck kümmern, Frauen selten außer als Mutter ihrer Söhne und Dienerinnen schätzen, die Macht für sich pachten – also weit eher als die Frauen die Verursacher der „Seuche“ sind. Die Machtbeziehungen zwischen Frauen und Männern bleiben tabu. Unerschütterlich ist, daß sie Ergebnis von Gefühlen und sexueller Lust, von Gewalt und Liebe sind – und eine Entscheidung für sie im übrigen von höchst komplexen Lebensverhältnissen abhängig ist.
Grade aus diesen Gründen zeigt sich das Problem möglicherweise bislang resistent gegen alle Lösungsversuche. Es wird instrumentalisiert, um Angst und Herrschaftsgläubigkeit zu erzeugen und die Menschen zu entmündigen. Das Teilen von Macht, Reichtum, Arbeit und Verantwortung wird nebenher als mögliche Lösung ausgeblendet. An den Betroffenen vorbei, über sie hinweg, auf ihre Kosten gibt es aber keinen wirklichen und vernünftigen Ausweg. Das Recht auf Selbstbestimmung und umfassende Autonomie der Frau sowie gleiches Recht für alle, deren Anerkennung zur Verhandlung über alle gemeinsamen Angelegenheiten zwingen würde, wäre, ganz unmodern, die entscheidende Logik einer anderen Politik. Wenn Menschen es gut haben, werden sie es sich und andern vergleichsweise gut machen. Auch wenn das Ergebnis dann ganz anders aussieht, als wir es uns heute vorstellen können.
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