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■ ÖkolumneÖko out? Öko in! Von Gerd Rosenkranz

Ein schöner Erfolg im fünften Jahr der Ökopause: Für 6 (in Worten: sechs!) Prozent des Wahlvolks ist nach jüngsten Umfragen Umweltpolitik am 16. Oktober wahlentscheidend. Derlei demoskopische Einblicke in die Wähler-

Innenseele veranlassen Gerhard Schröder, den grünen Loden gegen den gefleckten Kampfanzug zu tauschen. Klaus Töpfer redet, als habe er die Industrie vor steigenden Energiepreisen zu schützen. Und Günter Rexrodt wirbt für neue Atommeiler. Ansonsten ver-Foto: Isabell Lott

hält er sich, als säße er schon vor der Wahl als Oberlobbyist des „Bundesverbandes der Besserverdienenden“ am neuen Schreibtisch. Öko ist out, die Entgrünung der Politik schreitet voran, die Demoskopen liefern die Vorlage.

Keine fünf Jahre ist es her, da erklärten „politische Beobachter“ die Deutschen zu einem einig Volk von Öko-Jüngern. In ungezählten Umfragen bestätigten sich die Befragten ihre ökologische Sensibilisierung. Umweltschutz stand ganz oben auf der nationalen Sorgenagenda. Nicht nur beim Volk, auch in Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, hier und da sogar in den Chefetagen der Unternehmen. Die ökologische Botschaft ist angekommen, freuten sich die Analytiker. Der aufgeregte Katastrophismus eifriger Umweltaktivisten habe ausgedient. Herunter von Schornsteinen und Kühltürmen, rein in die Machtzentren von Wirtschaft und Politik, lautete die Parole für Phase II des ökologischen Umbaus der Industriegesellschaft.

So kam die Umweltdiskussion von der Straße in die Abgeschiedenheit der Amtsstuben – und dort auf den Hund. Zuerst verlor sie ihre schrille Tonlage. Alarmisten und Apokalyptiker mutierten zu Antichambristen und Analytikern. Es wurde modern, mit denen zusammenzusitzen, die die Hebel bedienen. Die Hebel allerdings blieben unberührt. Doch wenn CDU-Umweltminister und Bund Naturschutz Seite an Seite über Ökoproblemen grübeln, wenn Unternehmer Ökogruppen gründen und Greenpeace mit der Atomwirtschaft Ausstiegsszenarien debattiert, dann kann es so schlimm nicht stehen um unsere Zukunft. So dachte das Volk. Und nahm das Sinken des öffentlichen Erregungspegels als ökologischen Fortschritt.

Natürlich, hinterher ist man immer klüger. Es war das Experiment ja wert, zumal unter den 1990 erneut betonierten politischen Machtverhältnissen. Doch die Umweltschützer haben zwei Dinge unterschätzt: Die kollektive Verdrängungskapazität, wenn in der Mediengesellschaft Themenkonjunkturen in immer rascherer Abfolge kommen und gehen. Und den demoskopisch gesteuerten Stimmungsopportunismus in der Politik. Und Vereinigung und Wirtschaftskrise? Natürlich hat sich beides bleischwer vor die Ökodebatte geschoben. Merkwürdig nur: Waren sich 1990 nicht alle, vom Bonner Umweltminister bis Greenpeace, einig, ökologischer Umbau bedeutet Modernisierung, Exportchancen und nicht zuletzt Arbeitsplätze? Haben nicht alle gemeinsam die Chancen beschworen, die gerade der Zusammenbruch der Industriebrache namens DDR für den Neubeginn und Aufbau eines ökologisch verantwortbaren Wirtschaftsstandorts östlich der Elbe in sich trägt? Was ist geworden, was wurde gemacht, aus dieser Aufbruchstimmung der ersten Monate?

Nein, die besonderen deutschen Verhältnisse seit 1989 sind nicht allein dafür verantwortlich, daß sich Lebensqualität für 94 Prozent der Menschen wieder wie D-Mark buchstabiert. Politiker drehen kräftig mit an der ökologischen Entwarnungsschraube. Der eine strategisch bemüht, die andere ungewollt oder leichtfertig. Die alltägliche Umweltkatastrophe verschwindet aus den Statements der Vorturner, dann aus den Medien, dann aus den Köpfen. Nur nicht aus der Wirklichkeit. Kostproben der vergangenen Woche: Das Ozonloch über der Antarktis klafft bedrohlicher denn je, am Einheitswochenende erreicht der Stau auf deutschen Autobahnen die 500-Kilometer-Rekordmarke, die EU-Energiesteuer rückt erneut in weite Ferne, Tempolimit und Ökologie sind im 100-Tage-Regierungsprogramm der SPD kein Thema mehr.

Sechs Prozent Öko. Immerhin, könnte man meinen, das hilft – knapp – über die Fünfprozenthürde, der trübe Trend ließe sich umkehren. Wenn Grün in Bonn in ist, ist Öko schwerlich out. Zeit zum Aufwachen also, damit es kein böses Erwachen wird.

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