■ Ökolumne: Drei Millionen Von Niklaus Hablützel
Auch Kleinvieh macht Mist. Bauern wissen das, Ökologen denken an Millionen von Würmern, an Fliegen und Mikroben. Sie halten das Leben in Gang auf der Erde, die selbst nur ein Staubkorn ist im Universum. Die Daimler-Benz Aktiengesellschaft hingegen gehört zu den Dingen, die groß daherkommen. Der Name aus Untertürkheim umspannt die Welt. In Japan, teilte in dieser Woche die Direktion mit, will der Konzern helfen, die Lage der Umwelt zu verbessern. Sie habe die Technik, sagt die Delegation in Tokio, die anderen das Problem. Beides zusammen ergibt einen Markt, beispielsweise für Maschinen, die Plastikabfälle wiederverwerten.
Vielleicht sind solche Maschinen möglich. Nur weiß heute niemand, wie sie funktionieren, ohne noch mehr Schaden anzurichten als der Abfall, den wir nicht mehr gebrauchen können. Die Sache wird in jedem Fall sehr teuer, wahnsinnig kompliziert und beweist, daß es nicht sehr klug war, das Kleinvieh und seinen Mist welthistorisch zu überwinden. Alles, was danach kam, ist ein Fall für die Großen dieses Planeten, also für Daimler-Benz unter anderem. Das erklärt den größten Teil der Schwierigkeiten, in denen wir stecken.
Dem Finanzminister des deutschen Bundeslandes Niedersachsen zum Beispiel fehlen plötzlich drei Millionen Mark in der Kasse. Diese Schwierigkeit hängt mit der Daimler-Tochter Mercedes zusammen. Der weltweit gute Ruf des Sterns ist so unbezahlbar, daß er praktisch jede Sparmaßname rechtfertigt. Drei Millionen Mark hätten Grundstücke gekostet, die Mercedes- Benz dem Land Niedersachsen abkaufen wollte. Mit eingezäunten Brachen, Feuchtwiesen, ortstypischem Gebüsch und Bäumen sollten ökologische Schäden ausgeglichen werden, die eine Teststrecke für die Autos des Konzerns anrichten wird. Im schwäbischen Stammland scheiterte das Projekt am Widerstand der Einheimischen. Die Gemeinde Papenburg und die Regierung Niedersachsens hingegen ließen sich dazu bewegen, Land für Arbeitsplätze, Lärm und Gestank zu opfern. Auch hier haben unzählige im Namen von Würmern, Pflanzen und Insekten protestiert.
Drei Millionen Mark haben Land und Gemeinde besänftigt. Die Frage, ob das viel Geld sei, kann ganz unterschiedlich beantwortet werden. Hier war sie ein kleines Problem, für das der Konzern eine seiner großzügigen Lösungen fand. Der Stadtrat von Papenburg hat letzte Woche die Teststrecke genehmigt, wenige Tage danach erreichte ein Brief aus Untertürkheim den niedersächsischen Landwirtschaftsminister, der für diesen Sonderfall der Landschaftspflege zuständig ist. Die Wiesen, Sträucher und Tümpel, hieß es da, wolle der Konzern schon auf seine Kosten herrichten lassen, aber kaufen wolle er die Grundstücke nicht. Nur die Pacht, die für das wirtschaftlich nutzlose Land fällig wäre, dürfe man auf die Rechnung setzen.
Der Betrag fällt nicht ins Gewicht, seine Größe ist eine des schwäbischen Maßes. Doch auch Kleinvieh macht Mist, und hier stinkt er nicht. Der Sprecher, der befugt ist, Fragen zur Teststrecke von Papenburg zu beantworten, findet dafür die heimatlichen Worte: „Mir schauet scho auf d'Millione.“
Weg sind sie. Das Land Niedersachsen wollte sie ausgeben für Verbesserungen des öffentlichen Nahverkehrs, für mehr Buslinien zwischen Dörfern. Dabei soll es bleiben, Norddeutsche sind stur, nur muß der Finanzminister jetzt schwäbisch rechnen. „Vielleicht bauen wir die Wartehäuschen an den Haltestellen erst im nächsten Jahr“, sagt er.
Es gibt Schlimmeres, aber auch kleine Schwierigkeiten sind Schwierigkeiten. Und immerhin regnet es in jenen Landstrichen recht häufig, in denen die Busse jetzt nicht mehr gar so selten fahren werden. Wie nützlich wäre ein Wartehäuschen. Es fehlt. Naßkalt ist der Herbst, zwei, vielleicht drei Reisende stehen an einer Straße in Niedersachsen. Sie stecken in Schwierigkeiten. Vielleicht denken sie an die S-Klasse. Aber auch ihnen fehlt Geld. Überhaupt werfen die Produkte des Hauses Mercedes soziale Fragen auf, für die sogar Ökologen keine guten Antworten bereithalten. Vielleicht denken die Wartenden an die Lage der Umwelt in Japan. Damit könnten sie sich die Zeit vertreiben. Naß werden sie trotzdem, der Idealismus ihres schutzlosen Harrens ist vorbildlich. Sie sind die wahren Helden in dieser Welt der großen Lösungen.
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