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■ ÖkolumneDie neuen Technikfeinde Von Gerd Rosenkranz

Das Lamento ist so bequem wie unausrottbar. Wo immer sich „die Spitzen aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft“ zum Tête-à-tête über die Zukunft des Standorts Deutschland zusammenfinden, sitzt der böse Geist schon mit am Tisch. Da macht sich Endzeitstimmung breit, da schwillt der Chor der Trauergemeinde mächtig an: Die deutsche Wirtschaft verliert den Kontakt zum „Weltniveau“. Die Schuldigen sind – lange schon – dingfest gemacht: Sie sind erstens eine „kleine, aber lautstarke Minderheit“, zweitens „Naturapostel, die uns zurücktreiben wollen auf die Bäume“, und drittens „Fundamentalisten im Glaubenskrieg gegen die Segnungen der Technik“. Sie haben sich eingenistet in der Lehrerschaft, unter den Journalisten und – oh, Gott – in den Kirchen. Die Folge: „Millionen Deutsche sind heute in erster Linie auf die bedenklichen Begleiterscheinungen der technisch- wissenschaftlichen Zivilisation fixiert.“ Das wußte 1992 der Zeitgeschichtler Hans- Peter Schwarz.

Ein Jahr zuvor, das wußte er nicht, veröffentlichte Emnid eine Studie unter dem Titel „Technischer Fortschritt und Technik-Akzeptanz“. Die Ergebnisse konnten den Auftraggeber, das Bonner Forschungsministerium, das unter wechselnder Leitung mit stets denselben Parolen gegen die „Panikmache“ ökologischer Bedenkenträger angewettert hatte, nicht befriedigen. Mehr als drei Viertel der Befragten erklärten, technischer Fortschritt sei eben technischer Fortschritt und mithin gut. Gerade mal jeder zehnte Bundesbürger outete sich als Technikkritiker.

Also doch eine „lautstarke Minderheit“? Leider gab die Expertise auch für diese These wenig her. Denn überrepräsentiert unter den bekennenden Skeptikern waren nur zwei Gruppen: die Ostdeutschen und die Rentner. Beide gehören, soweit bekannt, nicht zur vorrangigen Klientel der Bündnisgrünen, die gemeinhin als harter Kern im Lager der fortschrittsfeindlichen Abweichler verdächtigt werden. Mehr noch, Emnid ermittelte die wenigsten Technikfeinde (sechs Prozent) ausgerechnet unter den Bessergebildeten, die wiederum überdurchschnittlich zur Farbe grün neigen.

Verblüffen können derlei Resultate allenfalls Wirtschaftsführer, Politiker oder Zeitgeschichtler, die sich seit zehn Jahren jeden Kontakt zu „Umweltschützern“ oder „Grünen“ verbieten und verbitten. Es ist ja unbestritten, daß sich zu Zeiten des unsortierten ökologischen Aufbruchs manch skurril-sympathischer Gartenzwerg hinter Latzhose, Rauschebart und Häkelnadel seine schöne alte Welt ausdachte und sie – wenn das Chaos siegte – auch in diesem oder jenem Grundsatzprogramm unterbrachte. Geschenkt. Nicht nur der äußere Aspekt belegt den Wandel. Unter den Ökos hat sich ohne großes Getöse ein neuer Konsens breitgemacht. Der lautet: Ohne moderne Technologien wird die Welt nicht überleben können. Pauschale Ablehnung ist so wenig hilfreich wie pauschale Euphorie.

Das ändert nichts daran, daß das neue Deutschland tatsächlich nicht gerade als Turbolader technologischer Innovationsdynamik Furore macht. Wer's nicht glaubt, mag sich auf der CeBit eines Schlechteren belehren lassen. Ist es die vielbeklagte, umweltschützerisch motivierte „Regelungswut“, die die Phantasie der heimischen Ingenieure blockiert? Auch diese beliebte These steht auf wackligen Füßen, seit das Fraunhofer Institut in Karlsruhe viel heiße Luft in den Klageliedern der Industrie ausmachte – und das ausgerechnet auf dem zu Recht umstrittenen Feld der Bio- und Gentechnologie. Bei den Hauptkonkurrenten, fanden die Karlsruher heraus, seien die Rahmenbedingungen ähnlich – es werde nur weniger gejammert.

Vielleicht sollte man im Jammertal selbst nach den Schuldigen suchen. Die neuen Fortschrittsfeinde treffen sich nicht (mehr) in grünen Öko-Zirkeln, sondern in den Chefetagen nicht gerade weniger Konzerne. Wer heute Atomenergie umstandslos unter die „Zukunftstechnologien“ einreiht, wer Jahr für Jahr zweistellige Milliardenbeträge in den Steinkohlebergbau pumpt, ohne ein Ende dieser teuren Industrieabwicklung auch nur anzudenken, wer beim Stichwort Mobilität an nichts als tumbe Limousinen auf vier Rädern denken kann, wer sich die Welt des Jahres 2050 nur als weiterhin fossil beheiztes Treibhaus vorstellen kann, der ist der moderne Technikpessimist.

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