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■ ÖkolumneKlimapolitisches Wolkenkuckucksheim Von Joschka Fischer

„In vierzehn Tagen ist alles vorbei“, wird sich Angela Merkel angesichts des Berliner Klimagipfels denken. Und wenn dann eine publizistische Blamage für die Bundesregierung vermieden werden konnte, hat sie ihr wichtigstes Ziel auch schon erreicht. Denn mit ihrem immer hektischer werdenden Aktionismus in den letzten Wochen versucht die Bundesregierung nur, ihre klimapolitische Untätigkeit hinter dem weißen Nebel rastloser Betriebsamkeit zu verbergen.

Daß sie dabei mit keinerlei Maß hantiert, fällt in der Öffentlichkeit nicht weiter auf: Denn welch atemberaubende Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der deutschen Klimapolitik herrscht, ist kaum noch vermittelbar. Dies beginnt bei den hochtrabend als „Klimaschutz-Programm“ bezeichneten 109 Maßnahmen, die dazu beitragen sollen, die deutschen CO2-Emissionen bis zum Jahr 2005 um 25 bis 30 Prozent zu reduzieren.

Wer weiß schon, daß sich dahinter neben einer völlig belanglosen Änderung der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien, dem Berlin- Umzug von Parlament und Regierung auch so umwälzende Maßnahmen wie die Abschaffung der Leuchtmittelsteuer verbergen? Das könnte man noch als absurd bezeichnen. Der Spaß aber endet bei der Deregulierung des Straßengüterverkehrs mit dem Ziel der Verbilligung von Lkw-Transporten, der Kernfusionsforschung und dem Bundeverkehrswegeplan als Grundlage des größten Straßenbauprogramms der deutschen Geschichte.

Diese Prioritätensetzung findet ihren Niederschlag auch in der finanziellen Ausstattung der Klimaschutzmaßnahmen: Während für den Straßenbau zehn Milliarden Mark pro Jahr zur Verfügung stehen, sind es 1994 für die erneuerbaren Energien gerade mal zehn Millionen Mark gewesen. Das regierungsoffizielle Klimaschutzziel ist damit – allen Rechentricks mit der Einbeziehung der neuen Bundesländer in die gesamtdeutsche CO2-Statistik zum Trotz – unter keinen Umständen zu erreichen.

Den Stellenwert des Klimaschutzes für die praktische Regierungspolitik hat Helmut Kohl denn auch folgerichtig in der Ernennung von Angela Merkel (warum eigentlich nicht Hannelore Röntsch?) und in seinem einzigen Satz seiner Regierungserklärung zum Berliner Klimagipfel zum Ausdruck gebracht: „Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der wirklich drängenden Klimaprobleme wäre es töricht, unseren technologischen Wettbewerbsvorsprung in der Kernenergietechnik und ihrer Sicherheit aufs Spiel zu setzen.“

Damit erschöpft sich die klimapolitische Phantasie dieser Bundesregierung. Sie wird deshalb auf dem Berliner Klimagipfel auch keine allzu gute Figur machen, denn auch im Ausland hat sich mittlerweile herumgesprochen, daß die deutschen Klimaschutzerfolge auf „Wall-Fall-Profits“ und schlichter Bilanzfälschung beruhen.

Ein wirksames Klimaschutzprogramm, das eine Glaubwürdigkeit Deutschlands im Ausland begründen würde, wurde zudem der „freiwilligen Selbstverpflichtungen“ der Industrie geopfert. Weltweit einzigartig sind jedoch nicht diese, wie die Bundesregierung behauptet, sondern die Tatsache, daß eine Industrie eine Regierung in der Öffentlichkeit so vorführen kann. Notwendig hingegen wären jedoch Schritte in Richtung einer ökologischen Steuerreform, der Energie- und Verkehrswende und einer neuen Stoffpolitik. Auf allen diesen Feldern herrscht bei der Bundesregierung völlige Untätigkeit.

Doch das ist nicht nur aus ökologischen Gründen extrem kurzsichtig. Denn die Analysen fast aller wichtigen Wirtschaftsforschungsinstitute kommen zu dem Schluß, daß nur eine neuerliche industrielle Revolution mit neuen Produkten und Produktionsweisen den Wirtschaftsstandort Deutschland sichern kann. Die neue ökologische Gründergeneration steht auch schon längst auf dem Plan und hat bereits Zehntausende neuer Arbeitsplätze geschaffen. Es könnten jedoch Hunderttausende mehr sein, wenn dafür endlich vernünftige Rahmenbedingungen geschaffen würden. Dafür gilt es jetzt zu streiten – und auch nur dann hat unser Klima eine Aussicht auf Entlastung.

Joschka Fischer ist Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/ Die Grünen im Bundestag

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