■ Ökolumne: Angela – reizend Von Manfred Kriener
Grenzwerte sind etwas Wunderbares. Sie sind so eindeutig. Grenzwerte machen die Umweltpolitik nackt, befreien sie vom Ballast des ganzen Öko-Gesumses. Es bleibt nichts übrig als eine schlichte, aber sehr konkrete Zahl. So wird der Grenzwert zum Destillat der Politik. An ihm läßt sich sehr genau ablesen, wie gift- oder strahlenresistent eine Regierung ihre Bürger einschätzt. Beim Reizgas Ozon heißt dieser Grenzwert – und jetzt tief durchatmen – 270 Mikrogramm.
Wir hatten bisher ein Gedränge von gut einem Dutzend unterschiedlicher Werte. Es gibt Informations- und Warnwerte, WHO- Werte, Arbeitsplatz-Maximalwerte, 24-Stunden-Werte, Hessen- und Schleswig-Holstein-Werte, es gibt sogar Vegetations-Schutzwerte. Nachbarländer wie die Schweiz haben wieder andere, strengere Werte. Dann gibt es noch deutsche Rekordwerte und den Weltrekordwert von Mexiko-City.
Der Grenzwert der Bundesregierung zeichnet sich dadurch aus, daß er in diesem ätzenden Mikrogramm- Konzert hinter dem EU-Ernstfall-Wert der höchste ist. Wie kommen die auf 270? Füttert man einen Computer mit den realen Ozonwerten des brütend heißen Reizgassommers 1994 und bittet ihn dann um eine arithmetische Obergrenze, die einen Sicherheitsabstand zur gemessenen Wirklichkeit einhält und somit garantiert, daß es künftig keinen Ozonalarm mehr gibt, dann kommt man auf etwa 250 Mikrogramm. Rechnet man dann noch eine zweite Sicherheitsspanne dazu, zehn Mikrogramm für Daimler und zehn für VW, landet man bei den 270 der Bundesregierung. Ein Wert, der das Auto optimal vor dem Ozonalarm schützt.
Daß dieser Grenzwert, über den ganz Deutschland lacht, die Kapitulation der Umweltpolitik vor dem Turbolader bedeutet, da ist man sich schnell einig. Dramatisch an dieser Entscheidung ist aber etwas anderes. Sie signalisiert, daß sich die Gewichte in der Bundesregierung verschieben. Merkel-Vorgänger Töpfer muß man nicht mögen, der Mann ist nun wirklich oft genug jämmerlich eingeknickt. Aber diesen Knaller hätte er sich nicht geleistet. Töpfer hatte zumindest eines: einen Instinkt für die Stimmung in der Gesellschaft und Schiß vor ihrer Umweltkompetenz. Beides fehlt seiner Nachfolgerin. Töpfer hätte einen niedrigeren Wert durchgesetzt und dann eine trickreiche Ausführungsverordnung nachgeschoben, die den strengeren Beschluß hintenrum wieder aushebelt. Im Ergebnis nicht besser, aber nicht so plump.
Das Beunruhigende an der Umweltministerin Angela Merkel ist die Chuzpe, mit der sie den Kniefall vor dem Mercedes-Stern vertritt. Sie versucht nicht einmal, ihre Autopolitik zu verbergen. Sie glaubt, sich das leisten zu können. Die Konstante der Töpferschen Entlarvung entfällt, weil sie ganz offen zugibt, daß – röchelnde Kinder hin, tränende Omas her – die Autos rollen müssen. So macht die Frau mit dem Milchmädchengesicht knallharte Industriepolitik.
Welcher Grenzwert wäre aber nun der richtige? Die Amerikaner haben Mäusedamen mit 2.000 und 1.000 Mikrogramm dauerbegast, worauf diese in ihrem kurzen Leben auffällig viele Lungen- und Bronchial-Tumoren entwickelten. Ozon ist also krebserregend. Laborversuche legen zudem die Vermutung nahe, daß Ozon die DNA von Säugetieren schädigt. Ozon ist damit vermutlich auch erbgutschädigend. In dieser heiklen Stoffklasse gibt es keine Grenzwerte, sondern nur ein eisernes Minimierungsgebot. Das kann man frech ignorieren und trotzdem einen Wert festlegen. Dazu nimmt man die im Tierversuch kritische Dosis – sagen wir 1.000 Mikrogramm – und teilt sie um den Faktor 100. Das ist ein übliches toxikologisches Prinzip. Dann hätten wir aber einen Grenzwert von 10 und dürften keinen Furz mehr lassen.
Weil das nicht geht, müssen wir freihändig einen Wert bestimmen. Zu bedenken wäre dabei, daß Lungenkrebs weltweit die größten Steigerungsraten aufweist. Empfindliche Vegetation wird ab 50 Mikrogramm Reizgas geschädigt, Kinder ab 100. Erwachsene zeigen ab 120 Mikrogramm die typisch gereizten Symptome. Deshalb setzt hier die Weltgesundheitsorganisation die Grenze. Auch die Schweiz hat dieses Limit übernommen, obwohl sie es eigentlich zu hoch findet. „Die Deutschen“, sagt der Toxikologe Otmar Wassermann, „sind nicht giftresistenter als die Schweizer, sondern nur dümmer.“
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