■ Ökolumne: Spargelkrieg Von Gerd Rosenkranz
Über Geschmack läßt sich bekanntlich streiten. Ob die Windrotoren in der Norddeutschen Tiefebene oder auf den kahlen Kuppen des Schwarzwaldes elegant sind oder häßlich, ob sie die Harmonie der Landschaft brutal zugrunde richten oder sie ästhetisch unterstreichen, wer wollte sich diese Entscheidung anmaßen? Wie gut, daß es Geschmacksfragen gibt, was bliebe sonst von Kunst und Kultur. Deshalb ist die Debatte so irritierend, die nun mit deutscher Wucht über die schlanken Spargel und die sie betreibenden Windmüller hereinbricht. Die einen beschwören den Untergang des Abendlandes, wenn sie in ihren 150-PS-Limousinen gen Norden brettern und dabei auf die rotierenden Energiespender treffen. Der ehrenwerte Horst Stern sorgt sich um die Zugvögel, andere fürchten um ihre Ferienhausidylle oder die Rache der (ausbleibenden) Touristen. Kurz: „Die Windindustrie zerstört weiträumig unsere naturnahen Landschaften.“
Erinnerung: Laut Gewerbestatistik des Deutschen Reiches drehten sich vor exakt hundert Jahren vornehmlich an der Nordseeküste 18.362 Windmühlen. Die letzten dieser historischen Bauten – über deren ästhetische Qualitäten niemand auf die Idee käme, zu streiten – dienen heute als Touristenattraktionen und Zeugen einer vergangenen Kulturlandschaft. Kulturlandschaft bedeutet: vom Menschen geprägt. Heute gehören dazu rund 3.000 Windräder und 1.400.000 Strommasten. Energieerzeugung ohne Eingriffe in die Natur hat es nie gegeben und wird es nie geben.
Sicherlich, Windrotoren konzentrieren sich wie vor 100 Jahren dort, wo der Sturm bläst. Deshalb gibt es Abstandsvorschriften (400 Meter von Wohngebäuden), es gibt Strategien, die Anlagen in Windparks zu konzentrieren, es gibt Pläne, Windkraftwerke „Off- Shore“ im Meer zu installieren, und nicht zuletzt gibt es Naturschutzgebiete, in denen Windpropeller nichts zu suchen haben: Anstrengungen zur Eindämmung der Nebenwirkungen, von denen die Bewohner anderer Energiestandorte lange nur träumen konnten.
Die Sankt-Florian-Ritter von der Küste können ja die Leute in den Braunkohlerevieren oder am Kamener Kreuz nach dem Reiz der dort geschaffenen Kulturlandschaften fragen. Sollen doch die Touristen, die nölen (bisher eine verschwindende Zahl), ihren Urlaub künftig in Biblis, Obrigheim oder im rheinischen Braunkohlerevier verbringen – dort gibt es auch Wasser und Berge. Im Windschatten der Reaktorkuppel zerschneidet kein Propeller die Luft.
Die Attacken gegen die bäuerlichen Windmüller gipfeln in dem Vorwurf, daß sie mit ihren Rotoren womöglich ein „Geschäft“ machen. Welch ein ungeheurer Skandal! Seit wann müssen Energieerzeuger Öko- Freaks sein und aus reinem Masochismus investieren? Sollen die Bauern lieber weiter den Boden mit Pestiziden und Gülle vollpumpen, um hinterher die Hälfte ihrer Produkte auf dem Müll zu entsorgen?
Der ganze Streit ähnelt dem einer Reisegesellschaft, die im Airbus über dem Atlantik die Erweiterung der Nichtraucherzonen debattiert, nachdem der Pilot den Ausfall der Triebwerke bekanntgegeben hat.
Man wirft der Windenergie vor, daß ihr Beitrag zur Kohlendioxid-Entlastung des Klimas verschwindend gering sei – und tut alles, daß es so bleibt. Just in dem Moment, in dem erstmals eine erneuerbare Energie den Sprung in die Wirtschaftlichkeit schafft, bricht der Sturm los. Die Naturschützer beten die Argumente der „Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke“ nach, die sich gerade mit ihrem Frontalangriff gegen das Stromeinspeisegesetz unmöglich gemacht hat. Bei einem der letzten Hauptgottesdienste der Atomgemeinde, dem Atomforum, hing ein Plakat. Text: „Wir sind gegen Atomenergie, weil sie gefährlich ist, wir sind gegen Kohle, Öl und Erdgas, weil sie das Klima aufheizen, wir sind gegen erneuerbare Energien, weil sie die Landschaft zerstören – Die deutschen Umweltschützer.“ Die Organisatoren amüsierten sich prächtig. Jetzt holt die Wirklichkeit die Satire ein. Das Ergebnis ist keine Geschmacksfrage.
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