piwik no script img

■ ÖkolumneMagengrimmen Von Manfred Kriener

Im Anfang war das Wort. Und das Wort war nicht korrekt. „Entwicklungsländer“, hören wir, ist der falsche Begriff für die Nationen des Südens. Er setzt voraus, daß sich diese Länder nach westlichem Vorbild weiterentwickeln, hin zu jener ressourcenfressenden, zerstörerischen Megamaschine unseres Industriesystems, das wir „entwickelt“ nennen. Was tun? Die Vokabel „Dritte Welt“ ist verpönt, weil sie die armen

Länder als drittklassig abwertet. „Arm“ und „reich“ sind ebenso verfängliche Attribute, denn die Armen weisen auf die Reichtümer in ihrer Kultur und in ihren Herzen und wollen nicht als Bettelmann abqualifiziert werden. „Norden“ und „Süden“ sind falsche Begriffe, weil im Norden auch wenig entwickelte Nationen existieren, im Süden einige Schwellenländer beinahe westeuropäische Lebensverhältnisse erreicht haben. Am Ende blieb nichts übrig als – mit Magengrimmen – weiter von „Entwicklungsländern“ zu reden.

Die terminologische Exegese war symptomatisch für die schwierige Diskussion, die Ökologen und Entwicklungsexperten in Berlin jetzt eine Woche lang mit ihren Gästen aus dem Süden führten. Die Unbehaglichkeit und das schlechte Gewissen der Reichen drangen aus allen Knopflöchern. Da will man sich – schon terminologisch – keine Blöße geben. Zur Unbehaglichkeit haben wir allen Grund: 20 Prozent der Weltbevölkerung verschlingen 80 Prozent der Ressourcen. Das reiche Fünftel der Welt hat ein 60mal so hohes Einkommen wie das ärmste Fünftel. Drei Viertel der Länder bestreiten ganze drei Prozent des Welthandels.

Das muß anders werden. Die Studie „zukunftsfähiges Deutschland“, die im Mittelpunkt des Meetings stand, zeigt, welch ungeheure Anstrengungen notwendig sind, um global verträglich zu bleiben, um Ressourcen und Wohlstand gerechter zu verteilen.

Den Vertretern der Entwicklungsländer muß die Debatte seltsam schizophren erscheinen. Während ihnen die Gastgeber zurufen, sie müßten selbst entscheiden, wie weit sie sich unserem Wirtschafts- und Konsummodell annähern – und dabei natürlich vor allem meinen: tut es bloß nicht! –, versinken viele afrikanische Länder immer tiefer in Armut und Hunger, dirigiert die Weltbank mehr und mehr ihre Politik. Und die Glitzerwelt der Reichen, die den Armen zur Mäßigung raten, grüßt von ferne.

Und während deutsche Ökologen mit ihren Gästen engagiert über den verhängnisvollen Lifestyle des

Nordens diskutieren, drängen deutsche Konzerne auf deren Märkte – unfreiwillige Arbeitsteilung. „Wir empfehlen den Chinesen nichts, die sollen ihre eigene Zukunft bauen.“ Sagen Ökologen. Und was sagen VW, BASF, Porsche, Siemens, die aggressiv nach China expandieren?

Leider nur kurz angetippt wurde ein wichtiges, noch weitgehend unbewußtes Motiv hinter dieser Debatte: Unsere Angst! Was passiert, wenn jeder Chinese ein Auto fährt? Was geschieht, wenn Indien sein Wirtschaftswachstum weiter beschleunigt? Was erwartet uns, wenn sich der Osten erholt hat, wenn weltweit sechs, sieben, acht Milliarden Menschen immer mehr produzieren, konsumieren, verkaufen?

Interessanterweise wird gerade in den USA am intensivsten die Zukunft Chinas erforscht, sein Ressourcen- und Energieverbrauch in immer neuen Studien extrapoliert. Der weltgrößte Ressourcenverbraucher spürt, daß eine andere Nation ihn vielleicht schon im nächsten Jahrzehnt überrundet. Er will von dem neuen Markt profitieren. Und er hat zugleich – berechtigte – Angst um die Zukunft des eigenen Lebensmodells.

Natürlich wissen wir sehr genau, daß der Süden eben nicht die Freiheit der eigenen Zukunft hat. Er wird zwar auf die Spur des westlichen Modells gelockt. Aber die Erde ist endlich, und die Verteilungskämpfe haben längst begonnen. Eine nachholende Entwicklung des Südens kann und darf es tatsächlich nicht geben. Das Problem ist nur: Wir trauen uns das nicht zu sagen, solange wir selbst fett und prall im Wohlstand sitzen. Und vielleicht haben wir auch nicht das Recht dazu, solange die Zukunftsfähigkeit des eigenen Landes nur in Studien realisiert ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen