piwik no script img

■ ÖkolumneADAC kämpft für Menschenrechte Von Felix Beutler

Mobilität – auch und vor allem die mit dem Auto – sei ein Grundrecht, befand der Tübinger Professor Michael Ronellenfitsch vor drei Jahren in einer Zeitschrift mit dem programmatischen Titel Deutsches Autorecht. Seine Begründung damals: Art. 4 des Grundgesetzes garantiere die ungestörte Religionsausübung und so könne zweifelsfrei festgestellt werden, daß auch „Missionare und Glaubenswerber jeglicher Couleur [...] auf Mobilität angewiesen“ seien. Das ist überzeugend. Wie sollte etwa der Erzbischof Dyba aus Fulda im heidnischen Osten der Republik Gottesfurcht lehren, wenn er dort nicht hinfahren könnte. Die Zeiten, wo er das auf einer Pilgerreise zur Schwarzen Madonna in Tschenstochau – sozusagen en passant – hätte erledigen können, sind nun einmal vorbei, denn, so weiß Ronellenfitsch zu berichten: „Der heutige Homo mobilis ist nicht mehr der Fußgänger des Mittelalters.“

Der Tübinger Jurist setzte jüngst in der Zeitschrift für Verkehrswissenschaften noch einen drauf. Mobilität (natürlich wieder besonders die mit dem eigenen Auto) sei gar ein Menschenrecht, ließ er die Welt wissen. Nun definiert sich ein Menschenrecht bekanntlich durch universellen Charakter, es hat weltweite Gültigkeit. Heißt das nun, daß in China pro Kopf der Bevölkerung so viele Autos fahren sollen wie in Deutschland, was zur Verdopplung der weltweiten Autoflotte führen würde? Heißt es nicht. Das von Ronellenfitsch behauptete Menschenrecht der Auto-Mobilität hängt davon ab, wo man sich geographisch aufhält. Denn: „Wenn in Staaten mit ausgebautem Straßennetz ein Menschenrecht auf Mobilität mit dem Auto besteht, muß dies in Ländern ohne vergleichbare Infrastruktur nicht gelten.“

Was kann daraus geschlossen werden? Haben die Deutschen mit ihrem dichten, von Adolfs Mannen einst begonnenen Autobahnnetz ein „Menschenrecht aufs Autofahren“, während Chinesen weiterhin zu Fuß laufen oder radfahren sollen? Die Zahlen sind jedenfalls deutlich. Während die Gesamtlänge des Straßennetzes in Deutschland 640.000 Kilometer beträgt, liegt sie in China bei knapp über einer Million Kilometer. Obwohl das Reich der Mitte 264mal so groß ist wie Deutschland, hat es also nur ein Drittel mehr Straßen.

Spinnt man Ronellenfitschs Juristereien aus Absurdistan weiter, könnte man zu folgendem Schluß gelangen: Das „Menschenrecht auf Mobilität mit dem Auto“ gilt nur in westlichen Demokratien. Schließlich heißt der Spruch des ADAC „Freie Fahrt für freie Bürger“, und freie Bürger gibt es im kommunistischen China nicht. Möglicherweise war es diese Überlegung, die Ronellenfitsch zu dem inbrünstig vorgetragenen Wunsch brachte, man werde hoffentlich eines Tages erkennen, „daß manche Automobilclubs letztlich auch Menschenrechtsorganisationen sind“.

ADAC = amnesty international? Shell-Boykottaufruf des ADAC? Ein Trauer-Autokorso zum Gedenken der Opfer der Demokratiebewegung in China? Nein, das sicher nicht. Das „Menschenrechtsverständnis“ des ADAC und seines Epigonen Ronellenfitsch ist ein anderes. So dürfen wir auch in Zukunft damit rechnen, daß der deutsche Automobilclub gegen „Folterinstrumente“ wie die Einführung einer Ökosteuer zu Felde ziehen wird, die Millionen deutscher Autofahrer mit „Freiheitsentzug“ strafen und der deutschen Autoindustrie den „Todesstoß“ versetzen würde.

Wahrscheinlich wird uns der Tübinger Rechtsprofessor demnächst auch über ein Widerstandsrecht bei „Menschenrechtsverletzungen gegen Autofahrer“ belehren. Das könnte dann etwa so aussehen: Die Sperrung einer Straße für den Autoverkehr verstößt gegen das „Menschenrecht aufs Autofahren“ und darf daher mißachtet werden. Und welche Widerstandsformen sind rechtmäßig, wenn eine Kommune gar auf die Idee käme, ihre Innenstadt für den Autoverkehr zu sperren? Darf ein Autofahrer dann in Notwehr die Zufahrtssperren in die Luft sprengen? Man darf gespannt sein, in welcher Weise Ronellenfitsch seinen Menschenrechtsbegriff weiterentwickeln wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen