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■ ÖkolumneWitz und Wahn Von Manfred Kriener

Einige pfiffige Berliner Journalisten haben Anfang der 80er Jahre der Bild-Zeitung zum runden Geburtstag die endgültige Schlagzeile geschenkt: „Deutscher Schäferhund beißt Marilyn Monroe Brustkrebs weg!“ Sie enthielt alle erfolgreichen Elemente des Boulevardjournalismus: Angst, Sex, Krankheit, Tod, Verbrechen, Happy-End. Heute müßte man diese Headline neu erfinden und einen auflagenträchtigen Begriff hinzufügen: „Rinderwahn“ – die Lieblingsvokabel des deutschen Journalisten. Keine Zeitung spricht

mehr von Rinderkrankheit und Rinderseuche, sondern lustvoll gruselnd nur noch vom „Rinderwahn“. Je häufiger und knalliger dieser Begriff auftaucht, desto zynischer sind die Berichte. Über das geplante Abschlachten und Verbrennen von vier, sieben oder elf Millionen britischer Rinder wird berichtet wie über die Entsorgung von Pappbechern auf dem Oktoberfest. Es geht nur noch um Kapazitäten und Stückzahlen, Ofenzubauten und Verbrennungsengpässe. „Verdinglichung“, hätte man früher gesagt. Die Nation der Kanarienvogelzüchter und Schoßhündchenhalter, die ihrem Hansi und Waldi schon mal einen Grabstein aus Marmor spendieren, ist, wenn es um sogenannte Nutztiere geht, kälter als die kälteste Hundeschnauze.

Und keine Niveau-Unterschreitung ist zu billig. Blödmann Harald Schmidt von Sat.1 wiehert: „Mama, das Steak ist aber waahnsinnig gut“. Analog zur

roten Aidsschleife heftet sich Schmidt dann die

„Unox-Wahnsinnsspange“ ans Revers. Alles grölt.

Populistische Aufarbeitung einer tödlichen

Epidemie.

Gleichzeitig hält sich die Rinderkrankheit als Schocker auch in der vierten Woche bravourös auf den Titelseiten. Doch je mehr über „Sperrmüll im Hirn“ und torkelnde Kühe geschrieben wird, desto mehr gerät das eigentliche Problem aus dem Blickfeld: die Kalamität im ganzen, die erbarmungslose Massentierhaltung der europäischen Agrarmaschine.

Wir füttern Wiederkäuer mit Tierkadavern, Schweine mit Schweinemehl, setzen Legehennen in einen schuhkartongroßen Käfig mit euroamtlichen 450 Quadratzentimetern. Wir werfen jedes zweite Küken in den Schredder, weil es das falsche Geschlecht hat. Wir katapultieren Hähnchen in 30 Tagen zur Schlachtreife. Und wir mästen Truthähne, deren Brustmuskel so groß gezüchtet wurde, daß die Tiere vornüberkippen. In der Hähnchenmast ist der Betrieb soweit automatisiert, daß selbst das Einfangen der Tiere für die Fahrt zum Schlachter von einer „Chicken catching machine KVM 500“ besorgt wird. Wie ein riesiger Staubsauger rattert die Fangmaschine durch den Stall und saugt die Tiere in ihren Schlund.

All diese Quälereien auch nur zur Kenntnis zu nehmen, sind wir immer weniger bereit. „Wer schützt uns vor den Tierschützern?“ heißt statt dessen die Parole. Solange die Bratwurst schmeckt, ist uns der Lieferant egal. Entweder wir berichten gar nicht über die moderne Massentierhaltung oder so zynisch wie jetzt. Der einzige Effekt ist, daß uns der Appetit auf das blutige Steak, das über den Tellerrand wabert, vorübergehend abhanden gekommen ist. „Butter Lindner“ hat Truthahnaufschnitt im Angebot.

Ein Gefühl für die Integrität der Tiere – oder auch nur ein wenig Mitleid mit der Kreatur – konnte diese Art Berichterstattung nicht wecken. Dazu wären leisere Töne notwendig, der Blick in die Ställe und Aufzuchtboxen, die Bereitschaft, das Elend an sich ranzulassen. Und man sollte nachlesen, was Horst Stern in den 70er Jahren darüber schrieb. Dort könnten wir erfahren, daß Hühner keine 300 Eier im Jahr legen, sondern ursprünglich 12, daß Truthähne keine 20 Zentimeter Brustumfang haben, sondern ursprünglich sieben, daß Schweine suhlen müssen, um sich abzukühlen, Kühe Pflanzen fressen und keine zerschredderten Schafe.

Solange der Blick aufs Ganze verweigert wird, darf weiter gewitzelt und gekalauert werden über „Rinderwahn in der CSU“ und „Mad cows and englishmen“. Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst. Wirklich ernst nehmen will die Rinderseuche niemand.

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