Ökolumne: Entlastung ist längst nicht alles
■ Rot-Grün hat sich die Steuerdebatte komplett aus der Hand nehmen lassen
Was ist schlimm daran, wenn die Atomindustrie ihre Rücklagen für die Entsorgung ihres strahlenden Mülls künftig nur über einen längeren Zeitraum abschreiben kann? Und dann weniger Steuern spart? Oder wenn der mittelständische Unternehmer, der seinen Angestellten ständig mit betriebsbedingten Entlassungen droht, seine beiden Mietshäuser nicht länger absichtlich leerstehen lassen kann, um damit den Gewinn aus dem Unternehmen via Verlustverrechnung auf Null zu bringen? Oder wenn ausländische Werkvertragsarbeiter nicht mehr an der Steuer vorbeigeschleust werden und damit die Löhne gedrückt werden können?
Wo bleibt die Erleichterung darüber, daß Rot-Grün diese Schlupflöcher endlich stopfen will? Und wo die Diskussion darüber, ob ihr das mit ihrem Entwurf gelingen kann, ob sie ihrem Anspruch genügt, mehr Steuergerechtigkeit zu schaffen und mehr Beschäftigung? Die Debatte hat eine völlig falsche Richtung genommen. Und die Koalition hat selbst dazu beigetragen.
Statt offensiv ihr komplettes Steuerkonzept vorzustellen, ließ sie nur Eckpunkte heraus, die der Öffentlichkeit schnell nicht mehr reichten: Weil die Liste der Steuervergünstigungen, die gestrichen werden sollen, unter Verschluß blieb, konnte keiner wirklich sagen, wer nun Gewinner und wer Verlierer sein würde. Kein Wunder, daß sich das Interesse auf die geheimnisvolle Liste konzentriert. Die Begründung der Koalition für ihre Geheimniskrämerei ist schwach: Die Lobbyisten stünden schnell auf der Matte, wenn alle Einzelheiten bekannt wären, heißt es aus Fraktionskreisen, – dann käme die Reform unter Dauerbeschuß, bevor sie richtig festgezurrt ist, und einzelne aus den Reihen der Koalition könnten umfallen. Was bitte ist von einer Regierung zu halten, die sich selbst so wenig zutraut?
Zumal der Plan nicht aufging. Denn so konnten Unternehmen, Lobbyverbände und Opposition in das Vakuum drängen und der Debatte ihr Stichwort aufdrücken: „Entlastung“. Auch wenn sich die Bevölkerung bislang kaum für Wertaufholungsgebote oder Verlustrückträge interessierte, muß sie inzwischen den Eindruck gewinnen, daß das Wohl und Wehe des Landes davon abhängt, möglichst viele Abschreibungsmöglichkeiten zu behalten – sowohl für den Mittelstand, der Jobs schaffen soll, als auch für die Konzerne, die das positive Image eines „Standorts“ ausmachen.
Der Wegfall einiger Abschreibungsmöglichkeiten sollte eigentlich das System vereinfachen. Und Steuergeschenke abschaffen, die nur von wenigen genutzt werden konnten – dafür aber jährlich in mindestens dreistelliger Millionenhöhe. Davon ist man wieder weit entfernt. Statt dessen dreht sich alles um die Frage: Werden auch alle genug entlastet? Dabei ist das nur ein Nebenaspekt. Vor allem muß es um Steuergerechtigkeit gehen und um Arbeitsplätze. Und dafür wäre ein viel stärkeres Aufräumen angesagt.
Die Maßnahmen in den letzten Jahren haben vor allem die entlastet, die bei der Bilanzierung am meisten Gestaltungsmöglichkeiten hatten – also die Konzerne. Die alte Regierung hatte versprochen, diese Entlastung gebe den Unternehmen wieder mehr Raum für mehr Investitionen, was wiederum mehr Steuereinnahmen in die öffentlichen Kassen spülen würde. Doch die Rechnung ging nicht auf. Die Unternehmen zeigten weder mehr Lust zu investieren noch schufen sie mehr Arbeitsplätze. Am Ende mußte ein immer größerer Anteil am Gesamtsteueraufkommen über Lohn- und Einkommenssteuern abgedeckt werden. Trotzdem blieben Haushaltslöcher, die dafür sorgten, daß am sozialen Netz gespart wurde.
Diese Steuervergünstigungen wieder zu streichen, ist deshalb ein richtiger Schritt – auch wenn noch mehr passieren müßte, um Stellen zu schaffen: Neben einer Stimulierung der Nachfrage gehören dazu zweckgebundene Anreize für die Unternehmen. Die richtige Tendenz belegt aber auch die erste Reaktion des Zentralverbands des Deutschen Handwerks auf die rot-grünen Pläne, die leider kurz darauf wieder zurückgenommen wurden: Es bringe „Impulse für den Mittelstand“, wenn die Abschreibemöglichkeiten wegfielen, hatte ein Sprecher erklärt. Wenn die Tarife gesenkt und Extras gestrichen würden, könne man „endlich wieder unternehmerisch tätig sein statt als Steuerfuchs“. Beate Willms
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