: Öko-Katastrophe und Logik der Rettung
■ Rudolf Bahro in der Humboldt-Universität Berlin
Der am 4. 11. 89 in die DDR zurückgekehrte SED-Häretiker gab Donnerstagabend in der Humboldt-Universität seine Sicht der Wende- und Wiedervereinigungs-Geschehnisse zum Besten. Entgegen der verbreiteten Manie, Vergangenheitsbewältigung (und manches andere) in vorauseilendem Gehorsam gemäß westlicher Denkungsart zu absolvieren, was Stalinismus zum Totalitarismus verknappt, schürft Bahro tiefer: Das Scheitern des real existierenden Sozialismus beruht für ihn auf dem untauglichen Versuch, mit einer Entwicklungsdiktatur kapitalistische Errungenschaften herbeizuzwingen in einer Gesellschaft, die dafür gar nicht geschaffen ist.
Bahro unterscheidet dabei europäische und asiatische Produktionsweise, womit er auf den frühen Marx zurückgeht und auf den zu Unrecht vergessenen kritischen Theoretiker Karl August Wittfogel. Asiatisch ist dabei weniger geographisch gemeint, sondern charakterisiert Gesellschaften, deren Reproduktionsbedingungen ein geordnetes Zusammenwirken aller erfordern, wie etwa die Hochkulturen der Inkas (Hochland-Wasserwirtschaft) oder der Ägypter (Nil-Regierung). Das führt dazu, daß der Großteil der Bevölkerung völlig subaltern - als Fellachen - gehalten wird und auch die Kasten der Kaufleute und Bürokraten kaum an Eigenständigkeit gewinnen können gegenüber der allgewaltigen Geistlichkeit, verkörpert durch den Pharao. Ersetzt man diesen durch den weisen Führer und Lenker, die Priester-Kaste durch die stets Recht habende Partei, bekommt man schon ein gutes Gefühl für Bahros Stalinismus-Sicht: In den sozialistischen Ländern war der Marxismus alsbald nicht Richtschnur politischen Handelns, sondern kaschierte notdürftig den Rückfall in feudalistische Zustände - nicht umsonst bezeichnete kein Geringerer als Bucharin Stalin als den neuen Dschingis Khan.
Die europäische Produktionsweise entstand dagegen unter Umständen, die das Überleben in kleinen Gruppen ermöglichten (germanische Stämme zum Beispiel), was zu einer relativ schwachen Zentralgewalt führte (man denke etwa an die deutschen Kaiser im Mittelalter) und letztendlich der ökonomischen Kaste - dem Bürgertum - eine relativ reibungslose Machtübernahme, sprich: den Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus ermöglichte.
Das Primat des Ökonomischen ermöglichte die allseits bekannten Wachstumsexzesse, deren ökologische Folgekosten ein „Nachtwächter-Staat als bloßer Erfüllungsgehilfe des Großkapitals“ dann freilich nicht zu vermeiden vermag. Das Tragische an der derzeitigen Wiedervereinigungshysterie liegt für Bahro darin, daß man der Chimäre eines kapitalistischen Wohlstandsparadieses nachläuft in genau dem Moment, wo diese ihr wahres Gesicht zeigt - in Gestalt ökologischer Katastrophen.
Dem hält Bahro entgegen, daß die hierzulande fleißig geübte Subalternität - einstmals gegenüber der Parteidoktrin, nunmehr gegenüber dem Westen - immer auch eine selbstauferlegte ist, die es zu durchbrechen gilt. Anstatt sich im Parteienstreit zu verlieren, will er das Geistige bewahrt und gestärkt wissen, plädiert angesichts der drohenden Umwelt-Katastrophen in seiner „Logik der Rettung“ (ab Juni auch bei uns - wenn's uns dann noch gibt) gar für eine „Tyrannis“, wie Plato sie sich als Philosophenherrschaft erträumte und Solon sie verwirklicht haben soll.
Das zahlreiche Publikum euphorisierte er damit freilich nicht - dagegen stand die Angst vor der allfälligen Korruption durch Macht, ja schon den Versuch, sie zu verlangen, am Beispiel der BRD-Grünen. Deren Ost-Ausgabe zu wählen war übrigens Bahros Empfehlung für den 18. 3., obwohl PDS-Mitglied - „ich schäme mich“. Wer mehr wissen möchte: 5., 8., 12. 3., 17 Uhr, Hörsaal 2002, Humboldt-Universität.
Thomas Gawlick
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