■ Öffentliche Vereidigung etc.: Kampf um die Hauptstadt
Die Jugend von heute verrenkt sich lieber in Discos als in soldatischen Exerzitien. Den Beruf des Mörders hält sie für unattraktiv und steinzeitlich veraltet. Von Jahr zu Jahr steigen die Zahlen der Kriegsdienstverweigerer an, bundesweit am höchsten sind sie im ehemals bundeswehrfreien Berlin. Die Nullbockler und Fahnenflüchtlinge, die sich in Westberlin einst sammelten, scheinen ihren Nachwuchs erfolgreich indoktriniert zu haben.
Und aus dieser Hauptstadt der Verweigerer heraus soll in wenigen Jahren ein wehrhafter Staat mit einer allseitig einsetzbaren Armee regiert werden? Staatsmänner aller Größen und Gewichtsklassen sollen hier die Begrüßungsparaden abschreiten? Dieser grauslige Gedanke läßt die Bundeswehrstrategen weder ruhen noch rasten. Ihr Ziel: Die störrischen Berliner sollen handzahm gemacht und peu à peu an die seltsamen Stammesrituale des Militärs gewöhnt werden. 1994 tröteten sie zum ersten öffentlichen Zapfenstreich. 1995, 50 Jahre nach Kriegsende, wollten sie ihre Rekruten vor dem Brandenburger Tor vereidigen, mußten aber klein beigeben, weil das barbareske Gezappel in historischer und geographischer Nähe zum Endkampf der Nazis nicht so ganz passend war.
Dieses Jahr aber wird das Gehampel und Gehabe und Geklirre noch verstärkt: voraussichtlich im Mai die erste öffentliche Rekrutenvereidigung, gleich danach die Internationale Luftfahrtausstellung, im Juli die Tagung der Nato-Spitze, im Herbst die Feldjäger- Tagung. Wird Berlin zur Hauptstadt von Bundesregierung und Bundeswehr, oder bleibt es die Hauptstadt der Antimilitaristen? Der aktuelle Protestlevel soll offenbar im vierteljährlichen Rhythmus getestet werden. Bitte schön, tun wir ihnen den Gefallen! Ute Scheub
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