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Öffentlich-rechtliches Waterboarding

Die Ferdinand-von-Schirach-Festspiele in der ARD haben mit einem zweigeteilten Film das Thema Folter vorgestellt. Auf eine Weise, die Folter diskussionswürdig erscheinen lässt.

Von Rupert Koppold↓

Haben auch Sie mitgefoltert? Waren Sie am ersten Sonntag des Jahres auf der Seite des Polizeikommissars, der ein bisschen Waterboarding betrieben hat? Waren Sie entsetzt, oder sind Sie davon überzeugt, dass einem der Entführung Verdächtigten physische und psychische Pein bereitet werden darf, bis dieser verrät, wo er – wenn er denn der Täter ist – sein Opfer versteckt hält? Solche Fragen wollte das Erste Deutsche Fernsehen mit Ferdinand von Schirachs „Feinde“ aufwerfen und beantworten. Ein Abend der öffentlich-rechtlichen Aufklärung also? Dies alles wurde schließlich erdacht und entworfen vom erfolgreichsten deutschen Autor der Gegenwart, der über sein Werk und sein Anliegen in angemessener (oder anmaßender?) Bescheidenheit sagt: „Wenn meine Bücher eine Bedeutung haben, dann liegt sie darin, dass sie versuchen, die Würde des Menschen zu verteidigen.“

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen und besonders die ARD feiern schon lange Ferdinand-von-Schirach-Festspiele, führen als Tribunale inszenierte Leben-und-Tod-und-Schuld-und-Sühne-und-Recht-und-Gerechtigkeits-Simulationen vor, bei denen der Zuschauer einbezogen wird und am Ende abstimmen darf. Mit den bestens besetzten TV-Adaptionen seiner Theaterstücke „Terror“ (2016) und „Gott“ (2020) ist der Autor quasi zum Deutschen Meister in Sachen Justiz und Moral geworden – und ein prima Quotenbringer dazu. Und nun, nach der „Terror“-Frage – darf man ein Passagierflugzeug mit vielen Menschen drin abschießen, um ganz viele andere Menschen zu retten? – und nach der „Gott“-Frage zur Sterbehilfe, endlich der Höhepunkt! Nun sollte nämlich gar niemand mehr Schirachs Verteidigung der Menschenwürde entkommen. Mit dem Film „Feinde“ wurde flächendeckend aufgeklärt, dass es nur so eine Art hat, beziehungsweise, wie die ARD sich selber lobt, in einem „einzigartigen Fernseh­ereignis auf mehreren Ebenen.“

Schirach und sein Sender haben ja nicht nur wochenlang ihr Programm mit „Feinde“-Trailern gespickt, sie zeigten uns das Geschehen, als es endlich soweit war, sogar zweimal: einmal aus der Sicht des Folter-Polizisten Peter Nadler („Feinde – Gegen die Zeit“), ein andermal, und parallel ausgestrahlt in allen (!) dritten Programmen und in One, aus jener des Folter anklagenden Anwalts Konrad Biegler („Feinde – Das Geständnis“). Danach wechselten das Erste und die Dritten die Filme aus, so dass an diesem Abend jeder Zuschauer beide sehen konnte. Dazu die Doku „Ferdinand von Schirach – Recht oder Gerechtigkeit?“, und in der Mediathek und in One, wohl für junge und eilig moralinteressierte ZuschauerInnen, die 45-minütige Zusammenfassung beider Langfilme: „Ferdinand von Schirach: Feinde – Der Prozess“. Wahnsinn! So viel Schirach war noch nie!

Ist das Volk folterbereit?

Ein bisschen enttäuschend allerdings, dass die ZuschauerInnen diesmal nicht abstimmen durften. Was Christine Strobl, Chefin der produzierenden ARD-Firma Degeto, so erklärt: „Das Filmprojekt ‚Feinde‘ hat einen völlig anderen Ansatz. Es geht dabei nicht um eine klar zu beantwortende Frage wie zum Beispiel ‚Schuldig oder unschuldig?‘. Es geht um unterschiedliche Perspektiven.“ In einer Voraufführung allerdings hat die ARD eingeladene Polizisten, Juristen und Eltern doch abstimmen lassen. Ergebnis? Dass jemand, dessen Geständnis durch Folter erpresst wurde, freigesprochen wird, fand „trotz einiger sanfter Einflussnahme bei allen Befragten nur 46 Prozent Unterstützung“ schreibt Sylvia Staude in der „Frankfurter Rundschau“ und fügt hinzu: „Unter Polizisten sogar noch ein bisschen weniger.“

Hat Ferdinand von Schirach, der gegen Folter zu sein behauptet, mit seinem Film also Volkes Stimme herausgekitzelt und dabei bloßgestellt, dass eine Mehrheit unter bestimmten Umständen Maßnahmen wie Waterboarding erlauben würde? Hat er also auf seine Weise eine Variante des berühmt-berüchtigten Milgram-Experi­ments von 1961 vorgestellt, in dem es dem Psychologen Stanley Milgram da­rum ging, den autoritätshörigen und folterbereiten Charakter des Durchschnitts­amerikaners aufzudecken? Nein. Es ist vielleicht noch schlimmer. Ferdinand von Schirach mag ein Gegner der Folter sein, aber mit seinem TV-Stück hat er letztlich die Folter legitimiert. Wie? Diese Aussage ist ein starkes Stück und muss begründet werden? Nun denn.

Ja, ein Autor und ein Film dürfen selbstverständlich Folter thematisieren, sie kommt nun mal vor. Und ja, auch die guten respektive die als gut präsentierten Polizisten werden beim Verhör schon mal vom Zorn übermannt und handgreiflich, sogar im „Tatort“ oder im „Polizeiruf“. Der FBI-Beamte Jack Bauer aber musste in der US-Echtzeit-Serie „24“ nicht mal vom Zorn übermannt werden, für ihn war Folter („Alles, was nötig ist“) schon Routine. Bauer habe in Guantanamo „die Leute auf allerhand Ideen gebracht“, so die US-Juristin und Militärberaterin Diane Beaver, die damals selber, so schreibt 2008 der „Stern“, neue Befragungstechniken abgezeichnet habe, „weil man mit alten ‚nicht weitergekommen‘ sei.“

Perfide Begriffe und falsche Fragen

In der UN-Antifolterkonvention heißt es: „Außergewöhnliche Umstände gleich welcher Art, sei es Krieg oder Kriegsgefahr, innenpolitische Instabilität oder ein son­sti­ger öffentlicher Notstand, dürfen nicht als Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden.“ Der Jack-Bauer-Darsteller Kiefer Sutherland, angesprochen auf die Verhörszenen in „24“, sagte damals: „Folter ist ein dramatisches Mittel, um zu zeigen, wie verzweifelt die Situation ist, und wie dringend und verzweifelt die Charaktere dieser Situation Herr werden wollen. Die Zeit läuft ab. Das ist nicht damit zu verwechseln, was wir für richtig oder falsch halten.“ Könnte man Ähnliches nicht auch zum Waterboarding-Verhör des deutschen Polizisten Peter Nadler in „Feinde“ sagen? Eine tragische Geschichte zu dem, was manchmal so perfide als „Rettungsfolter“ bezeichnet wird?

Es ist tatsächlich ein Unterschied, ob Thriller wie etwa die der „Saw“-Reihe ihre Foltermethoden genüsslich als „torture porn“ inszenieren, oder ob die Folter als Problem des Folterers dargestellt wird, so wie 2012 im TV-Film „Der Fall Jakob Metzler“, der die tatsächliche Entführungsgeschichte nachinszeniert als tragische Verstrickung eines Polizisten, der weiß, dass man das eigentlich nicht tun darf, es aber trotzdem tut – oder jedenfalls damit droht. Auch „Feinde“ wurde von diesem Fall inspiriert, auch hier fühlt sich der Polizist zur Folter gezwungen (und führt sie auch aus), aber dies passiert eben nicht in einem „normalen“ Krimi, sondern in einem weit über sich hinaus ins Exemplarische weisenden Film. Ferdinand von Schirach und die ARD verstehen sich eben als Volksaufklärer in Sachen Justiz und Moral.

Dass „Feinde“ künstlerisch gescheitert ist, haben schon andere Rezensenten festgestellt (Heike Hupertz in der FAZ: „bestürzender Murks“). Dass die Schirach’sche Konstruktion auch juristisch mit den falschen Fragen herumklappert, hat der ehemalige Verfassungsrichter Thomas Fischer ausführlich in „Spiegel online“ erläutert.

Das ganz und gar Fatale aber ist die Form, die für diesen Film gewählt wurde. Eine Pro-und-Kontra-Form! Die zeigt sich etwa in großen und gegenüberliegenden Werbe-Anzeigen in der „Zeit“, links steht der von Klaus Maria Brandauer gespielte Anwalt fürs „Recht“, also für das Folterverbot, rechts der von Bjarne Mädel verkörperte Polizist für „Gerechtigkeit“, also fürs Ich-muss-trotzdem-Foltern. So wie hier angeordnet und dann auch im Film durch Pro-und-Kontra-Perspektiven ausgeführt, geht es um gleichberechtigte Fragen.

Selbst wenn sich eine Mehrheit der Zuschauer für ein Folterverbot ausgesprochen hätte: Allein die Folterfrage zur Diskussion zu stellen, sie als debattenwürdige Abwägung zwischen einer legalen und einer legitimen Anschauung erscheinen zu lassen, ist mehr als ungehörig. Was kommt bei Ferdinand von Schirach wohl als nächstes? Ein Pro-und-Kontra-Drama mit Bürgerbeteiligung über die Triage in Corona-Zeiten, bei der die Alten in der Abstimmung gegen die Jungen verlieren? Ein Pro-und-Kontra-Migration-Versuch, bei dem Volkes Stimme völkisch wird? Oder ein Pro-und-Kontra-Stück zur Frage, ob man bei Sexualstraftätern die Todes­strafe einführen sollte?

Was „Feinde“ veranstaltet oder besser: angerichtet hat, das sind antiaufklärerische Spiele mit Fragen, die eigentlich die Fragen der Bösen sind. Damit haben Ferdinand von Schirach und die öffentlich-rechtliche Anstalt ARD einen Spalt weit eine Tür geöffnet. Eine Tür zum Mittelalter.

In der ARD-Mediathek kann man neben den beiden Spielfilm-Teilen „Feinde – Gegen die Zeit“ und „Feinde – Das Geständnis“ auch die Doku „Feinde – Recht oder Gerechtigkeit?“ nachsehen.

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