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Öffenlichter Beschäftigungssektor"Wir machen jetzt Betriebsausflüge"

Nurcan Schörbach war lange arbeitslos, mittlerweile ist die Deutschtürkin Gemeindedolmetscherin. Der Verein, der sie ausgebildet hat und jetzt beschäftigt, ist Vorbild für die neue Beschäftigungsoffensive des Senats. SPD und Linkspartei wollen 10.000 neue gemeinnützige Jobs schaffen.

Für das Jobcenter ist sie schwer integrierbar, für ihren neuen Job genau die Richtige. Nurcan Schörbach vermittelt zwischen den Kulturen. Sie ist Gemeindedolmetscherin. "Ich möchte eine Brücke sein zwischen der deutschen und der türkischen Kultur, die ich beide sehr gut kenne", beschreibt sie ihre Aufgabe.

Der Beschäftigungssektor

Im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor - ÖBS - will der rot-rote Senat 10.000 Stellen bis 2010 schaffen. Sie sollen eine Alternative zu Hartz IV und 1-Euro-Jobs sein. Die Stellen sollen zunächst auf zwei Jahre befristet sein und können in begründeten Einzelfällen unbefristet verlängert werden. Bewerben kann man sich dafür nicht. Die Jobcenter vermitteln die Arbeit. Als Zielgruppe kommen Leute in Frage, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, von Arbeitgebern bei der Einstellung benachteiligt werden und um die sich die Jobcenter schon mindestens sechs Monate intensiv, aber erfolglos bemüht hat. Sie sollen gemeinnützige und zusätzliche Tätigkeiten ausüben. Das Projekt ist nicht unumstritten: Es sei teuer, monieren die Kritiker, und könne reguläre Arbeit verdrängen. Das Land Berlin will einen Beirat einrichten, der darüber wacht, dass die ÖBS-Mitarbeiter regulär Beschäftigten keine Konkurrenz machen oder diese ersetzen. Darin sollen auch Vertreter von Unternehmen und Handwerk sitzen.

Die Brückenbauerin wurde vor 40 Jahren als Kind türkischer Gastarbeiter in Berlin geboren. Nach der Hauptschule begann sie eine Lehre als Schneiderin. "Mit halbem Herzen, denn mir war klar, ich wollte ausreisen." Mit 18 Jahren packte sie dann ihre Koffer und verließ Deutschland mit ihrem Ehemann in Richtung Türkei. Sechs Jahre managte sie eine Pension in der Nähe des Urlaubsortes Antalya. Dann scheiterte die Ehe. Auf sich gestellt hätte Nurcan Schörbach die Pension kaum halten können. Also kehrte sie mit ihrem Sohn zurück nach Berlin. "Ich wäre gern geblieben, aber für meinen Sohn gab es hier bessere Zukunftsaussichten." Ihre eigenen Aussichten waren weniger gut. Die Schneiderlehre hatte sie nicht beendet, sie galt als ungelernt.

Bis vor einem Jahr war sie eine von 200.000 Langzeitarbeitslosen in Berlin. Für 10.000 schaffen SPD und Linkspartei jetzt Stellen - mit Tariflohn, Sozialversicherungspflicht und Arbeitsvertrag. Der Bund bezahlt 75 Prozent vom "Gehalt" im Rahmen des Programms "Jobperspektiven", das Land Berlin legt pro Person 522 Euro drauf und macht daraus den "Öffentlich Geförderten Beschäftigungssektor" - kurz ÖBS.

Der ÖBS soll in drei Jahren ein zweiter Arbeitsmarkt sein für all jene, die auf dem ersten keine Chance haben: weil sie zu lange raus sind aus dem Job und mit weiteren "Vermittlungshemmnissen", wie es im Agenturjargon heißt, behaftet sind - zu alt, behindert, ohne Berufsabschluss. Die Menschen sollen gemeinnützige Arbeiten erledigen, die nicht in Konkurrenz zu regulär bezahlter Arbeit steht. Das heißt, diese Tätigkeiten darf es als Erwerbsarbeit noch oder nicht mehr geben.

Zur Kategorie "Neue Berliner Arbeit" gehört seit einem Jahr der Gemeindedolmetschdienst. Auf der Suche nach sinnvollen, aber nicht rentablen Tätigkeiten, die als Vorzeigeprojekte für den ÖBS taugen, fragte die Senatsverwaltung für Arbeit damals bei Carola Gold an. Sie führt die Geschäfte des Gemeindedolmetschdienstes von einem Büro im ärmeren Teil der Friedrichstraße.

Der Dienst wurde 2001 vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg und dem Netzwerk Gesundheit Berlin gegründet. "Die Idee war, Gespräche zwischen Patienten mit geringen Deutschkenntnisse und Ärzten zu übersetzen", sagt Gold. Ziel Nummer zwei war, Sozialhilfeempfänger mit Migrationshintergrund eine Beschäftigung zu geben.

Eine Freundin machte Nurcan Schörbach 2001 auf den Dolmetschdienst aufmerksam. Zu dieser Zeit hatte sie zwei Jahre keine Arbeit. Nach ihrer Rückkehr war sie in verschiedenen Maßnahmen gewesen, hatte als Schweißerin und Sekretärin gearbeitet und als Reinigungskraft in einem Kühlhaus. Einen Abschluss hatte sie immer noch nicht, dafür jede Menge Zertifikate. "Als ich hörte, dass Gemeindedolmetscher ausgebildet werden sollten, stand ich am nächsten Tag auf der Matte und sagte: 'Mich müsst ihr nehmen.' "

So saß Nurcan Schörbach schließlich in einem Kurs mit Menschen aus zehn Nationen. "Das war echt toll." Ihre Ausreise in die Türkei erwies sich jetzt als kulturelles Kapital: "Gemeindedolmetscher sind eigentlich Kulturmittler: "Sie müssen über sich und ihre Kultur reflektieren können und sich in zwei Kulturen gut auskennen", sagt Geschäftsführerin Gold. Nicht jeder, der einen Migrationshintergrund habe, sei dafür geeignet. 70 Gemeindedolmetscher hat der Dienst bisher ausgebildet. "Viele sind qualifizierte Leute, die ein Studium oder eine Ausbildung im Herkunftsland gemacht haben, aber das hier nicht anerkannt bekommen", berichtet Gold. Viele von ihnen seien über 50. "Es ist gut, wenn die Leute eine gewisse Reife haben und sich in heiklen Situationen zurücknehmen können", lobt Gold.

Doch konnten weder Mitarbeiter noch der Verein von dem Geld leben, das die Einsätze abwarfen. Der Bedarf sei zwar da, rechnet Gold vor: Etwa 34.000 Behandlungen werden jährlich in Berlin durch Sprachbarrieren erschwert. Die Krankenhäuser begrüßten das Angebot gleichfalls, doch bedauerten im selben Atemzug, kein Geld dafür zu haben. Derzeit richtet der Gemeindedolmetschdienst eine Hotline für schnelle Anfragen ein. "Ohne den öffentlichen Beschäftigungssektor hätten wir alles, was wir aufgebaut haben, vielleicht schon einpacken müssen", räsonniert die Geschäftsführerin.

Dennoch prüften sie und ihr Team das Angebot, beim ÖBS mitzumachen, sehr genau. Sie wollten nicht für Tätigkeiten eingesetzt werden, die sich Senat und Bezirke auf der anderen Seite sparen. Die Sorge ist berechtigt. Das Land Berlin hat in den letzten 15 Jahren fast 100.00 Stellen im Landesdienst abgebaut oder ausgelagert. Bis 2012 sollen noch einmal 10.000 Stellen reduziert werden. Viele Bezirksämter hätten zum Beispiel die Sprachmittler auf den Ämtern abgeschafft, berichtet Gold.

Schließlich entschied sich der GDD, seine Dienste in Kindergärten und Schulen anzubieten: Die Gemeindedolmetscher sollen bei Elterngesprächen- und versammlungen Missverständnisse ausräumen - konkurrenzlos und gemeinnützig.

Auch Schörbach gehört zu jener Gruppe von 20 Mitarbeitern, die seit einem Jahr von Schulen und Kindergärten gebucht werden können. "Wir kommen meistens, wenn mehrere Anläufe misslungen sind und es schon sehr kriselt", erzählt sie. Einmal hätte ein Lehrer eine Mutter angeschrien, die immer unangemeldet in den Unterricht kam, um nach ihrem behinderten Kind zu sehen. "Sie war sehr gekränkt. In solchen Situationen muss man sehr genau übersetzen, damit auch Gefühle korrekt wiedergegeben werden." Sie könne den Menschen die Sicherheit geben, wenn es drauf ankomme, richtig verstanden zu werden. Der Lehrer hatte sich dann bei der Mutter entschuldigt.

Schörbachs Augen leuchten, wenn sie von ihrer Arbeit erzählt. Sie habe immer gedolmetscht, erst für ihre Familie, nun für andere. "Wir sind die Generation der Gastarbeiter, die immer die Waage gehalten haben."

Vor einem Jahr hat sie den Arbeitsvertrag beim GDD unterschrieben. "Allein ein Arbeitsvertrag macht schon was aus", sagt Gold. Es mache was mit den Leuten, werte ihre Persönlichkeit auf. "Und wir machen jetzt auch Betriebsausflüge." Genau wie bei einem normalen Job.

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