Occupy macht Stimmung: Schunkeln gegen die Banken
Beim "Karneval der Empörten" halten Aktivisten Banken und Finanzhaien den Spiegel vor - und machen sich warm für die Reichstagsumzingelung am Samstag.
Lange hat es gedauert, bis die Occupy-Bewegung in Berlin sich festsetzen konnte. Mit ihrem Camp direkt gegenüber dem Bundestag stehen sie nun aber im Mittelpunkt des Protests: Am heutigen Samstag wollen mehrere tausend Menschen bei der Demo "Banken in die Schranken" den Reichstag umzingeln. Die meisten Occupisten wollen daran teilnehmen und einen Redebeitrag beisteuern. Am Freitag haben sie von dem am Mittwoch besetzen "Bundespressestrand" aus ihre erste Aktion gestartet: den "Karneval der Empörten".
Umringt von 25 Polizisten tummeln sich vor der Humboldt-Universität genau um 11.11 Uhr 90 verkleidete Personen, darunter "Finanzhaie", die "Demokratie in Ketten" und Narren. Die Aktion ist nicht angemeldet. Mit fünf anderen Aktivisten hat sich Pola* abgestimmt, sie legen Schafspelze an. "In unserem Tiefschlaf rennen wir als Bürger ständig irgendwem hinterher, ohne nachzudenken - wie eine Schafsherde", erklärt die 41-Jährige ihr Kostüm.
"Wer hat hier den Hut auf?", erkundigt sich ein Polizist. "Keiner, es ist doch Karneval", ruft Pola. "Und was sind Ihre Ziele?", fragt eine Journalistin. "Also heute ist unser Ziel, Karneval zu feiern." Pola wendet sich ab. Wie die Polizei verstünden die meisten Medienvertreter nicht, um was es eigentlich gehe: "Um gegenseitiges Verantwortungsgefühl und eine neue Kommunikationskultur." Sie erlebe gerade, wie wertvoll es sei, wenn man mehr miteinander rede. Statt den Umsturz der Finanzsysteme strebt sie einen Wandel im Bewusstsein des Normalbürgers an.
Um das zu erreichen, nutzt sie, die eigentlich nie Karneval feiert, an diesem Morgen närrische Elemente. Etwa kleine überspitzte Schauspielszenen, die Schaulustige anziehen: Im Kniefall bittet sie den Finanzhai darum, etwas von dem Mais zum Futtern abzubekommen, mit dem er spekuliert. Zwischendurch blökt sie "Mann, Määäärkeeeelll".
Warum sie sich so engagiere? Die Occupy-Bewegung krempele ihr Leben um. Vor fünf Jahren stieg die studierte Diplomkauffrau aus dem Marketinggeschäft aus und machte sich als Masseurin selbstständig. Jetzt nimmt sie Einnahmeausfälle in Kauf, um sich in den Arbeitsgruppen Zeitung und Aktion zu engagieren. Oder ihre Rechte gegenüber den Polizisten einzufordern.
Die haben an diesem Freitag keinen guten Draht zu den Narren. Zwar begleiten die Beamten den Zug mit acht Polizeiwagen geduldig Unter den Linden entlang. Doch auf dem Weg zum Roten Rathaus gibt es verbale Auseinandersetzungen. "Diese latente Aggression ist auch etwas, das ich mit meinem Engagement verändern will", sagt Pola.
Der Karneval dauert fast drei Stunden. Und am heutigen Samstag wird Pola wieder protestieren. Aber nicht im Schafspelz.
* Name geändert
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