OUTSOURCING: Chronisch Kranke auslagern
Niedersachsens AOK privatisiert die Versorgung Schizophreniekranker - mit einer Pharmafirma. Kritiker warnen, die Bremer AOK will das Modell "prüfen"
Sie sind die teuersten Kunden der Krankenkassen: chronisch Kranke. Um die Ausgaben für sie zu drücken, hat die AOK in Niedersachsen jetzt ein Modellprojekt gestartet. Ab 2011 soll die Betreuung der 13.000 bei ihr versicherten Schizophreniekranken an eine private Pharma-Firma ausgelagert werden. Ähnliches könnte auch Bremer Versicherten blühen - die hiesige AOK will das Modell "prüfen".
Unter dem Label "Integrierte Versorgung" wird künftig eine Tochterfirma des US-Pharmariesen Johnson + Johnson für die Versorgung schizophreniekranker AOK-Patienten in Niedersachsen allein verantwortlich sein. Das Neusser "I3G - Institut für Innovation und Integration im Gesundheitswesen GmbH" erhält für jeden AOK-Patienten einen festen Satz von der Kasse. Dafür muss es dessen medizinische Leistungen tragen. Dazu will das Unternehmen ein "Netzwerk von Fachärzten und Fachpflegern" aufbauen. Vielen erscheint das Modell jedoch zweifelhaft, weil Johnson + Johnson selbst Medikamente zur Behandlung psychischer Krankheiten herstellt. Die AOK erhofft sich "Effizienzsteigerungen".
Der Bremer Pharmakologe Peter Schönhöfer warnt hingegen vor dem Modell: "Hier werden die Versicherten an die Pharmaindustrie verkauft", sagt der emeritierte Professor, der am Klinikum Bremen-Mitte das Institut für Klinische Pharmakologie aufgebaut hat. "Die Konzerne bekommen direkten Zugriff auf die Patienten, das ist unerträglich." Die Ersparnis der Kassen und die Profite der Firmen gingen jeweils zu Lasten der Versicherten: "Die Pharmaindustrie ist kein Wohltätigkeitsverein", sagt Schönhöfer, den die Zeit einmal den "Schrecken der Pillendreher" genannt hat. "Die deutsche Gesellschaft für soziale Psychiatrie und Psychotherapie, das Diakonische Werk - alle diese Einrichtungen sind über das Vorgehen der AOK entsetzt." Das Modell sei darauf ausgelegt, sich der Verantwortung für die Versorgung der Patienten zu entledigen.
Immer wieder gab es in der Vergangenheit Gerüchte, dass sich - wie in anderen Regionen auch - der Bremer und der niedersächsische Landesverband der Krankenkasse zusammenschließen. Dann würden die Bremer Schizophrenie-Patienten wohl automatisch an I3G fallen - und künftig womöglich an weitere, ähnliche "Versorgungspartner" für andere Krankheitsbilder. Doch die Kasse dementiert die Fusionspläne. "Das ist vom Tisch", sagte gestern AOK-Sprecher Jörg Hons. Zwar habe es in der Vergangenheit darüber "Gespräche gegeben", doch diese würden nicht weiter verfolgt. "Es gibt auch keinen Grund dafür: Wir sind finanziell eine der gesündesten AOKs im Land", sagt Hons. "Da ist keine Notwendigkeit, über Fusionen nachzudenken."
Dass das niedersächsische Modell für die Versorgung der Schizophreniepatienten dennoch übernommen werden könnte, will Hons nicht ausschließen. "Wir haben das Projekt wahrgenommen und prüfen es", sagt er.
Die Hintergründe im Archiv: www.taz.de, Suchwort "I3G"
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