ORTSTERMIN VON KATHARINA SCHIPKOWSKI : Blutige Folterszene und ein siegreicher CIA-Agent
Das Literatur-Business ist nichts für zarte Gemüter. Lektorin Katharina Gerhard spricht vom Nadelöhr, durch das ein Text gehen müsse, um es in die weite Welt des Literaturbetriebs zu schaffen. Häufig scheitere es schlicht daran, dass der Lektor einen schlechten Tag hatte. Dann hat der Autor Pech gehabt, der Entwurf landet im Müll.
So gesehen hatten die Vier, die auf dem Sofa im Literaturhaus sitzen, Glück im Unglück. Ihre Manuskripte sind bei Verlagen abgelehnt, beim „Salon des Refusés“ – dem Salon der Abgelehnten – angenommen worden. Sieben Minuten hat jeder von ihnen Zeit, aus dem abgelehnten Manuskript vorzulesen. Am Ende kürt das Publikum den Sieger. Etwa hundert Literaturfans sitzen in engen Reihen auf Holzstühlen und lauschen.
Henry Holland beginnt mit seinem Text „Grauer Granit“. Er liest eine blutige und brutale Folterszene vor, die in einer Gefängniszelle in einer fiktiven Stadt in Schottland spielt. Einige im Publikum rümpfen die Nase, stöhnen auf, als ein Polizist in einer Blutlache ausrutscht.
Nach sieben Minuten ist Schluss für Holland, und die Lektorin Gerhard, der Verleger Daniel Beskos vom Mairisch-Verlag und die Literaturagentin Barbara Heine haben das Wort. Dieses „Expertenteam“, wie auf einem Tischkärtchen vor ihnen steht, nickt, lobt das Sujet, rät, die Figur nicht zu überfrachten, sondern im Detail zu bleiben.
Als nächstes liest Irena Stojanova aus ihrem unveröffentlichten Skript „Bulgarisch Mädchen“. Eine junge Bulgarin lässt ihren Säugling und ihre Familie zurück und geht nach Deutschland, um als Sexarbeiterin Geld zu verdienen. „Zu hart“, so das Urteil des Expertenteams. Die Ich-Perspektive verlange dem Leser zu viel ab. Das Publikum murmelt zustimmend.
Als nächstes liest Detlev Scholz aus „König der Nacht“. Der Held ist ein Ex-CIA-Agent, der sich mit seiner Vergangenheit im Vietnamkrieg auseinandersetzt und in eine Sinnkrise gerät. Freyja Jürgens ist als Letzte dran. Sie hat ein Kinderbuch geschrieben und liest eine Szene aus einer Unterwasserwelt vor.
Während das Publikum geheim über den Sieger abstimmt, sagt das Expertenteam etwa: „Es kommt auf die ersten Sätze an“, und diskutiert die Notwendigkeit von Autorengruppen oder die Vor- und Nachteile des Selfpublishing. Literatur-Nerds unter sich eben.
Detlev Schulz gewinnt mit seinem Roman vom reflektierten CIA-Agenten. Die Zuschauer klatschen, der Gewinner bedankt sich, Blumensträuße werden überreicht und allen Beteiligten gedankt. Dann ist die Veranstaltung zu Ende.
Ob die KandidatInnen nach der ganzen Expertise schlauer sind, bleibt unklar. Ob etwas aus ihren abgelehnten Manuskripten wird, lässt sich nicht sagen. Ein paar Visitenkarten werden ausgetauscht, Hände geschüttelt, man tauscht sich aus, pflegt das Netzwerk. Das einzige Buch das an diesem Abend im Literaturhaus signiert wird, bleibt allerdings das Gästebuch.