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Archiv-Artikel

OREGANO, TWITTER-SHITSTORMS UND DER „SPIEGEL“-TITEL Von Hengsten, die im Dunkeln ficken

JULIA SEELIGER

Wo, bitte schön, geht’s zur Freiheit? Wie Hor, der in Michael Endes „Der Spiegel im Spiegel“ durch die Gänge geht und sich vom Putz der Wände ernährt, wandern auch wir durch das Labyrinth.

Leerstellen im Kapitalismus. Frei bei der Arbeit waren schon immer wenige, doch heute sind viele auch nicht frei in ihrer Freizeit. Das stresst. Die neue Geschäftsführerin der Piratenpartei Katharina Nocun hat dies in einem Zeit-Debattenbeitrag deutlich zu machen versucht. Der jungen Generation, die sich gerade zu wehren beginnt gegen den Stress, gegen Geldverschwendung und Sozialabbau, wird entgegnet, es gehe ihr doch so gut wie keiner zuvor, Arbeitsplätze seien doch da.

Die Wirtschaft brummt, wie man so blöd sagt, zumindest in Deutschland ein bisschen. In Europa sieht das anders aus. Die jungen Spanier haben keine Arbeit, aber sie sind glücklich, hieß es vor einiger Zeit in einer Studie. Das klingt verblüffend. Vielleicht ist Arbeit doch scheiße, wie es die APPD schon immer gesagt hat. Logisch, dass man mit den Grünen über so was nicht reden kann. Deren Spitzenkandidatin redet bei Twitter lieber über Erdbeerkuchen – vielleicht ist das die neue Zeit. Vielleicht muss man Katrin Göring-Eckardt nur den Foto-Like-Dienst Instagram zeigen, wo hauptsächlich Kinder, Tiere und Essensfotos gepostet werden.

Ich frage bei Twitter lieber nach Oregano, und die Erste, die mir antwortet, ist meine zukünftige Bürgermeisterin Monika Herrmann. Das nenne ich mal Subsidiarität!

Dass Twitter stresst oder wie die DDR ist oder dass diese Unterschichtler da den ganzen Tag Shitstorms machen, hab ich eh immer für bescheuerte Thesen gehalten. Nun hat der Soziologe Till Westermayer einen Tweet von mir aufgegriffen: „Wenn nun das ‚Problem‘ von Twitter und Co. nicht die (zu harten) Leserkommentare wären, sondern die Vortäuschung von Gesellschaft, Nähe …?“ und daraus die These gemacht, Soziale Medien seien „parasozial“, Vergleichbares habe es auch schon immer gegeben. Wenn man einem berühmten Account folge, sei das, wie sich mit dem Helden eines Buchs oder einer Fernsehserie zu identifizieren. Till sagt: „Parasoziale Interaktion muss kein pathologischer Befund sein. Vielmehr ist sie relative Normalität in einer massenmedialen Gesellschaft.“

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Mittwoch Margarete Stokowski Luft und Liebe

Donnerstag Josef Winkler Wortklauberei

Freitag Jürn Kruse Fernsehen

Montag Barbara Dribbusch Später

Dienstag Deniz Yücel Besser

Glück gehabt! Ich wusste es immer, dieses Web 2.0 ist für was zu gebrauchen und als Mensch, der auf dem Dorf aufgewachsen ist, sollte einem da auch nicht viel anderes zu einfallen.

Traurig macht der Spiegel-Titel. Ein Aufschrei für die Rechte von Sexworker_innen – Prostituierte klingt diskriminierend, muss man nicht sagen – wäre angebracht. Aber da wird wohl alles bleiben, wie es ist, die Spiegel-Hengste wollen wie die meisten lieber im Dunkeln ficken. Mit Alice Schwarzer, die mit ihrer populistischen Hetze dazu beiträgt, den Status quo im Geschlechterverhältnis zu zementieren. Ich sag nicht, dass alles in Butter, Crisco, Gleitgel ist mit der Prostitution, aber Zahlen sollten Journalisten schon zur Kenntnis nehmen. Aber ach, die Freiheit. Vielleicht muss, wer sie anstrebt, Putz essen.