ONANIE IST IN DEN LETZTEN JAHREN AUS DER TABUECKE HERAUSGEZERRT WORDEN. WARUM SOLLTE ES ALSO KEIN ONANIERBÄR-DENKMAL IN GÖTTINGEN GEBEN? : Bismarck und der kleine Wichser
KATRIN SEDDIG
Ein Denkmal funktioniert so: Ein Mensch geht ganz in seine Gedanken an zum Beispiel seinen Einkauf vertieft über einen Platz und dann steht dort ein Denkmal. Da dieses Denkmal dort schon immer steht, seit er zum Einkaufen über diesen Platz geht, denkt er eigentlich gar nichts. Ein Denkmal, das immer dasteht, seit ein Mensch irgendwo entlanggeht, ist wie die Luft, wenn sie nicht stinkt, wie der Verkehr, wenn er nicht ungewöhnlich laut ist und so wie alle Bäume und Häuser auf dem Weg, den der Mensch täglich geht, fast außerhalb seiner Wahrnehmung.
Es sei denn, es kommt Besuch. Dann kann der Mensch sagen: „Das da, das ist unser Bismarck.“ „Komische Nase hat der“, sagt dann der Besuch. „Ja, die Nase ist komisch. Nicht so getroffen. Obwohl, man weiß es nicht. Man kennt ihn ja nicht.“ Bismarck also. Ja. Vielleicht hüpft diesem Menschen auch, an der Grenze zur Wahrnehmbarkeit, immer dieser Bismarck durch die Gedanken. Und dann denkt er sich: „Ich sollte frisches Hack. Nicht das gefrorene. Zwiebeln sind alle. Geh ich noch beim Friseur vorbei? Bluse aus der Reinigung. Bismarck. Ein halbes Mischbrot reicht.“ Vielleicht geht das so. Ungefähr so. Ich weiß das. Ich kenne Denkmäler. Ich bin mit ihnen vertraut.
In Göttingen wird ein Denkmal für Robert Gernhardt geplant, das den dortigen Politikern Kopfzerbrechen bereitet, und eigentlich ist dieses Denkmal schon jetzt, in der Phase der Planung und Überlegung, sehr in der Öffentlichkeit präsent. Sollte es nicht auf dem Robert-Gernhardt-Platz realisiert werden, könnte es sein, dass später der Göttinger Bürger mit seinem Besuch über diesen Platz läuft und sagt, „Und hier sollte zum Gedenken an Robert Gernhardt der Onanierbär aufgestellt werden. Zum Glück (oder leider, je nachdem) ist das aber nicht geschehen.“
Der Onanierbär ist einem kleinen Gedicht Robert Gernhardts entnommen, es handelt sich bei der geplanten Skulptur um einen Kragenbären, der sich seine Tatze in den zottigen Schritt steckt. Die Göttinger Kulturdezernentin Dagmar Schlapeit-Beck kann nach eigener Aussage in dem onanierenden Bären keine tiefergehende Botschaft als den sexuellen Tabubruch entdecken.
Meiner Ansicht nach begeht Schlapeit-Beck hier zwei Fehler. Zum Einen sollte sie mal über sexuelle Tabus nachdenken. Onanie ist in den letzten sieben, acht Jahren ein bisschen aus der Tabuecke herausgezerrt worden. Der andere und schwerwiegendere Fehler, den Frau Schlapeit-Beck begeht, ist der, in einem onanierenden Bären nach einer tiefergehenden Botschaft zu suchen. Im Übrigen verspüre ich seit meiner Schulzeit eine heftige Abneigung gegenüber dem Suchauftrag nach Botschaften in Kunstwerken aller Art. Ich bin fast der Meinung, wir sollten unsere Kinder von solchen entwürdigenden Aufgaben endlich befreien.
Befreiung war vielleicht auch die Intention des Kasseler Künstlers Siegfried Böttcher. Er wollte die Statue von der Unsichtbarkeit befreien. Er wollte sie menschlich und freundlich gestalten, liebenswürdig, wie den Menschen Robert Gernhardt. Zugänglich für Kind und Rentnerin, denn wer würde nicht diesen kleinen Racker in sein Herz schließen. „Das ist unser Onanierbär“, könnte der Göttinger in Zukunft zu den Verwandten sagen. Oder „unser kleiner Wichser“. Oder „unser kleiner Streichelbär. Er erinnert uns an Robert Gernhardt.“ „Wie das?“, fragt der Besuch. „Hat der auch gern …?“ „Man weiß es nicht. Vermutlich.“ Und dann freut sich der Besuch und denkt: „Ein Mensch wie du und ich.“
Das ist natürlich alles Spekulation. Ich spekuliere, dass das Herrn Gernhardt gefreut hätte, wie ein anderer, der ihn kannte, Otto Walkes nämlich, das zum Beispiel immerhin auch vermutet. Die Diskussion darum hätte ihn allerdings ziemlich sicher gefreut. Denn ehrlich – wen freut die nicht?Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012 bei Rowohlt. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen.