OFF-KINO : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Der aus Österreich stammende Regisseur und Produzent Joe May war der Meister des trivialen deutschen Stummfilms, dessen Geschichte er mit seinen Abenteuerserials und Monumentalfilmen entscheidend mitprägte. Auch in seinem für die UFA entstandenen Film „Asphalt“, einem Melodram um einen braven Schutzpolizisten (Gustav Fröhlich), der sich in eine gerissene Juwelendiebin (Betty Amann) verliebt, dominiert letztlich eine kleinbürgerlichen Moral, doch zugleich ist der Film eines der schönsten Beispiele für die Inszenierung der Großstadt im Film. Der größte Teil der Stadtszenen entstand im Atelier auf dem UFA-Gelände in Neubabelsberg, wo der Filmarchitekt Erich Kettelhut ganze Straßenzüge eines fiktiven Berlins mit Anklängen an die Friedrichstraße, den Potsdamer Platz und die Leipziger Straße errichten ließ: glamouröse Geschäftsstraßen, bevölkert von einem hektisch-dynamischen Gewimmel aus Menschen, Autos und Omnibussen, illuminiert vom Licht der Leuchtreklamen und der Schaufenster. Zur Dynamik der Stadt gehört natürlich auch die moderne Frau dazu: Die Diebin Else Kramer, eine rauchende Großstadtpflanze mit falschen Augenwimpern und modischem Kurzhaarschnitt, führt ein flottes Lotterleben im Luxusappartement, das Regisseur May direkt mit der kleinbürgerlichen Beschaulichkeit des Lebens von Wachtmeister Holk kontrastiert, der noch bei seinen Eltern zwischen Kanarienvogel und Einmachgläsern wohnt. Holk, als Schupo anfangs souveräner Herrscher über den städtischen Verkehr, wird beim Zusammentreffen mit Else seine Selbstsicherheit verlieren und als Totschläger ihres Liebhabers enden.
„Animation ist kein Genre“, sagt Brad Bird, der Regisseur von „Ratatouille“, vielmehr könne man mit Animation jedes erdenkliche Genre bedienen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, doch leider glauben ja noch immer viele Leute, Trickfilm sei nur etwas für kleine Kinder. Einen der interessantesten Animationsfilme für Erwachsene schuf im abgelaufenen Jahr Ari Folman mit „Waltz with Bashir“, einer dokumentarischen Spurensuche über Ereignisse im Libanonkrieg des Jahres 1982, als die mit Israel verbündeten christlichen Falangisten nach einem Attentat auf ihren Anführer Baschir Gemayel in den von israelischen Truppen abgeriegelten palästinensischen Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila ein furchtbares Massaker anrichteten. Ari Folman war als junger Soldat in diesem Krieg dabei gewesen, hatte seine Erlebnisse jedoch nahezu komplett verdrängt. Er machte sich auf eine vier Jahre währende Spurensuche, sprach mit Freunden, ehemaligen Kameraden und weiteren Zeitzeugen. Die im Film gezeigten Gespräche sind authentisch, doch indem Ari Folman sein Puzzlespiel auf eine subjektive Ebene mit Albträumen und surreal anmutenden Erinnerungsfetzen verlagert, gelingt ihm letztlich viel mehr als nur eine Aufarbeitung von historischen Ereignissen und persönlichen Traumata: „Waltz with Bashir“ ist ein global verständlicher Antikriegsfilm geworden, der nicht einfach emotionalisiert, sondern reflektiert, irritiert und verstört. LARS PENNING
„Asphalt“, 6. 1. im Babylon Mitte
„Waltz with Bashir“, 1.–7.1. im Blow Up, fsk, Sputnik, Rollberg; 1.–6.1. im Acud; 2.1.–7.1. Hackesche Höfe, Kino Kiste