OFF-KINO : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Das Erste, was einem in unseren Breitengraden zum Thema „La Paloma“ einfällt, ist wohl unwillkürlich der blonde Hans mit dem Schifferklavier. Doch in der Dokumentation „La Paloma“ erzählt der Münchener Klangkünstler Kalle Laar, er kenne allein rund 2.000 Versionen dieser Habanera, die der baskische Komponist Sebastián Iradier in den 1850er-Jahren vermutlich auf Kuba verfasste. Und rund doppelt so viele Fassungen soll es geben, wie man in dem Film von Sigrid Faltin erfährt, für den die Regisseurin Musiker, Sammler, Archivare und Musikwissenschaftler in aller Welt aufgesucht hat, welche die spannende Verbreitungsgeschichte dieses Welthits erläutern und vor allem auch die sehr unterschiedlichen Bedeutungen verdeutlichen, die das Lied in der Tradition bestimmter Länder mittlerweile einnimmt. Was den universellen Appeal des Songs ausmacht, erklärt hier der Hamburger Stimmungssänger Peter Fläschner: „Alles, was sich im Leben abspielt, ist in ‚La Paloma‘ enthalten.“ So spielt man es in Rumänien hauptsächlich zu Beerdigungen, in Tansania kommt es bei Hochzeiten zu Gehör, und in Mexiko hat sich „La Paloma“ zum politischen Protest- und Spottlied entwickelt, dessen Text den aktuellen Gegebenheiten immer wieder angepasst wird. Jazzlegende Coco Schumann hingegen berichtet, wie sich die SS-Männer im KZ immer „La Paloma“ gewünscht haben, wenn die Juden in die Gaskammern geschickt wurden. Doch dann meint er: „Das Lied kann ja nichts dafür.“
Ein Kinderfilm, in dem Kinder sadistisch gequält werden? Tim Burton macht es möglich und erzählt in seiner makabren Roald-Dahl-Adaption „Charlie und die Schokoladenfabrik“ (2005) vom Trip einiger Kinder durch die fantastischen Süßwarenlandschaften in der Fabrik des Schokoladenherstellers Willy Wonka (Johnny Depp). Die wenigen Tickets für den Besuch haben sich mit Ausnahme des armen und freundlichen Charlie lauter reiche, arrogante und furchtbar verzogene Gören gesichert, denen ihre Gier und Egozentrik zum Verhängnis werden: Sie tappen in Wonkas ebenso ausgeklügelte wie lustig-boshafte Fallen, in denen sie dann ordentlich durchgemangelt werden. Nur Charlie gelingt es, sich mit dem einsamen Wonka anzufreunden, der die Traumata seiner Kindheit auch nicht überwunden hat und am Ende von Charlies Familie quasi adoptiert wird, die – ein hübscher Gegenentwurf zur verschwenderischen Pracht der Fabrik – arm, aber glücklich in einem kaputten und vollkommen windschiefen Haus lebt. Das vermutlich bekannteste Werk des sowjetischen Regisseurs Dsiga Wertow thematisiert das Filmemachen selbst: In „Der Mann mit der Kamera“ wird der Weg des Filmmaterials von den Dreharbeiten über die Montage bis zur Vorführung nachvollzogen. Dabei wird die Kamera als technisches Auge erfahrbar gemacht und ihr Einfluss auf die Abbildung von Realität verdeutlicht. Zugleich bedeutete der experimentelle Film auch den Versuch der Umsetzung von Wertows Theorie der absoluten Filmsprache, die sich von allen Hilfsmitteln und Zwängen des Theaters befreien muss. LARS PENNING
„La Paloma. Sehnsucht. Weltweit“, 24.–25. 1. in der Urania
„Charlie und die Schokoladenfabrik“, 22.–28. 1. im Blow Up
„Der Mann mit der Kamera“, 26. 1. im Arsenal 2