OFF-KINO : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Gérard Philipe war der wohl populärste europäische Schauspieler der 1950er-Jahre: Er sah gut aus, zeigte Intelligenz und Talent, und die meisten seiner Filme waren anspruchsvoll und kommerziell zugleich. Meist gab Philipe den romantischen Liebhaber, doch wirklich festzulegen auf einen bestimmten Typ war er nicht: Er konnte in Mantel-und-Degen-Filmen draufgängerisch wirken, erschien ganz in sich gekehrt in den damals so populären Verfilmungen russischer Literaturklassiker, verkörperte Idealisten ebenso wie abgeklärte Zyniker. Interessant wäre gewesen, ob die Regisseure der Nouvelle Vague wohl etwas mit Philipe hätten anfangen können, doch als ihre Glanzzeit begann, war der Mime bereits tot, gestorben 1959 mit 36 Jahren an Leberkrebs. Philipes heute bekanntester Film ist die Mantel-und-Degen-Komödie „Fanfan, der Husar“ von Regisseur Christan-Jaque aus dem Jahr 1952: eine übermütige Fantasie aus der Zeit Ludwig XV., gleichermaßen Satire auf die Hohlheit der Mächtigen und des Militärs wie ein Lob der Respektlosigkeit im Umgang mit ebenjenen. (28. 11. Filmkunst 66)
Betrachtet man allein den technischen Aspekt seiner Filme, dann war Busby Berkeley der interessanteste Musical-Choreograf und -Regisseur der 1930er-Jahre. Berkeleys Fähigkeiten erstreckten sich nämlich nicht unbedingt auf besonders komplizierte oder elegante Tänze, sondern auf Gesamtarrangements, in denen nicht der Tänzer, sondern die Kamera die wichtigste Rolle spielte. Letztere brachte Berkeley praktisch zum Tanzen: Er ließ sie über den Boden kriechen, sie wurde verkantet und auf den Kopf gestellt oder blickte beim sogenannten Berkeley Top-shot senkrecht von oben auf die in kaleidoskopartigen Mustern arrangierten Chorus-Girls. Die erstaunliche Geschwindigkeit und Präzision, mit der diese Muster entstehen, erzielte der Regisseur wiederum durch einen Filmtrick: Tatsächlich filmte er die Auflösung der Formationen und kopierte die Einstellungen anschließend rückwärts in den Film. Vergleichbar sind diese im Takt der Musik animierten Muster tatsächlich nur mit den abstrakten Trickfilmen, die etwa zur gleichen Zeit in Europa aufkamen. Zu Beginn von Berkeleys Karriere wurden die Spielhandlungen der Filme noch von anderen Regisseuren inszeniert, so auch in „42nd Street“ (Regie: Lloyd Bacon), einem Backstage-Musical, dessen Geschichte um die Probleme bei der Produktion einer Broadway-Show kreist. (OF 27. 11.–28. 11. Arsenal 2)
Im Vergleich zu Berkeley und seinen Werken ist Lars von Triers „Dancer in the Dark“ ein überaus interessantes Meta-Musical, eine Genre-Reflexion, in dem Musik und Tanz der erblindenden Heldin Selma (Björk) als Flucht aus ihren bedrückenden Lebensumständen dienen. Nicht von ungefähr ist ihr Lieblingsmusical „The Sound of Music“ mit Julie Andrews, das man auch als die Geschichte einer Emigrantin lesen kann, die in Amerika ihr Glück findet. Wer Lars von Trier kennt, weiß, dass Selma ihres Lebens allerdings nicht froh werden wird. (OmU 29. 11.–30. 11. Tilsiter Lichtspiele)
LARS PENNING