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Archiv-Artikel

OFF-KINO Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

Wie grenzen sich die europäischen Western von den amerikanischen ab? Das Zeughaus präsentiert im Januar eine umfangreiche Auswahl des Programms vom Cinefest Hamburg, das sich im November ebendieser Frage gewidmet hatte: Los geht’s mit der westdeutschen Produktion „Der Schatz im Silbersee“ (1962), dem Auftakt der von dem Produzenten Horst Wendlandt initiierten, ungemein erfolgreichen Karl-May-Reihe, deren erste, überwiegend von dem handwerklich äußerst versierten Ex-Riefenstahl-Regieassistenten Harald Reinl inszenierten Werke sich recht unprätentiös an Abenteuer und Humor orientierten. Der für die Amerikaner stets wichtige Pioniermythos der offenen Grenzen trat hier – wie auch in anderen europäischen Western – zugunsten der Action ebenso deutlich zurück wie die Psychologisierung der Figuren, die in den USA in den 1950er Jahren eingesetzt hatte. Doch auch der politisch motivierte Blick auf den Western als antikapitalistische und antikolonialistische Parabel fand in Europa ihre Liebhaber: Das DDR-Gegenstück zum Franzosen Pierre Brice, der den edlen Häuptling Winnetou verkörperte, stellte der Jugoslawe Gojko Mitic dar, der als Chefindianer der Defa im Realsozialismus für politisch korrekte Unterhaltung sorgte. Schließlich stellte man in der DDR sicher, dass die Erschließung des amerikanischen Westens vor allem aus der Sichtweise der unterdrückten Indianer dargestellt wurde – so auch in dem 1972 von Hans Kratzert inszenierten „Tecumseh“, dessen Titelfigur sich gegen die weißen Besatzer auflehnt und versucht, verschiedene indigene Stämme zu vereinigen. (Der Schatz im Silbersee 3. 1.; Tecumseh 4. 1. Zeughauskino)

Berühmter als Boris Kaufman wurde sein Bruder Denis, der unter dem Namen Dziga Vertov als Regisseur im russischen Revolutionsfilm reüssierte und mit seinen Film-Manifesten bis in die 1960er und 70er Jahre Einfluss auf die politische Filmavantgarde ausübte. Boris Kaufmans Karriere als Kameramann verlief vielleicht weniger spektakulär, aber nicht weniger interessant. Er war verantwortlich für die Fotografie aller vier Filme, die Jean Vigo vor seinem frühen Tod 1934 fertigstellen konnte: die satirische Kurz-Dokumentation „A propos de Nice“ mit ihren witzig-surrealen Einfällen und vielen Kameratricks, „Taris“, das Porträt eines populären Schwimmchampions, den anarchischen Jugendfilm „Zéro de conduite“ und „L’Atalante“, Vigos einzigen abendfüllenden Spielfilm, ein dem poetischen Realismus verwandtes Drama um Freud und Leid eines jungvermählten Paares auf einem Kahn. In den 1950er Jahren machte der wandlungsfähige Kaufman auch in den USA Karriere, zu seinen Glanzleistungen gehören dabei Elia Kazans „On the Waterfront“ (1954) und Sidney Lumets „The Pawnbroker“ (1966), in denen er New York als einen grimmigen und unbarmherzigen Ort zeichnet, kalt, grau und in scharfen Schwarz-Weiß-Kontrasten. Eine Hommage an Boris Kaufman zeigt das Arsenal im Januar. (Taris + L’Atalante, OmEnglU 1. 1.; On the Waterfront, OmSpanU 3. 1.; The Pawnbroker, OF, 4. 1. Arsenal)

LARS PENNING