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O-weg wird zur Klangmeile

■ Mit Wolfgang Amadeus gegen die Junkies / Mehr Polizei statt schwarzer Sheriffs

Das ist die Wende! Die leidgeprüften Kaufleute am Ostertorsteinweg haben jetzt die Wunderwaffe gegen die offene Drogenszene gefunden, und die Wunderwaffe heißt nicht Methadon oder Schwarze Sheriffs, sie heißt Wolfgang Amadeus und Johann Sebastian. Seit Montag wird der Fußweg an der Ecke zur Bauernstraße mit klassischer Musik beschallt, und wo sonst ein Pulk von Junkies Station bezogen hatte, da ist nun freies Trottoir für freie Bürger. „Die sind genervt abgezogen“, berichtet Carsten Frenz, Geschäftsführer des Brillengeschäfts am Eck. Aber es ist nicht nur Mozart allein, der für das Verschwinden der Szene von der Bauerstraßen-Ecke gesorgt hat. Seit einiger Zeit sind dank der Hartnäckigkeit der Kaufleute mindestens zwei Kontaktbereichs-Polizisten am Gifteck im Einsatz.

Vor ein paar Tagen war ein Kunde in das Brillengeschäft an der Ecke Bauernstraße gekommen: „Wo ist Mozart?“, fragte er die Beschäftigten, „der muß doch jetzt vor der Tür spielen.“ Und weil die Beschäftigten einigermaßen verblüfft dreinschauten, lieferte der Kunde auch gleich die Lösung. Er habe in einem Magazin gelesen, daß es in New York Geschäfte in der Nähe der offenen Drogenszene gebe, die sich einen ganz besonderen Trick ausgedacht hätten: Sie beschallten den Bürgersteig mit klassischer Musik, und nach kürzester Zeit seien die Junkies verschwunden gewesen. Mozart und Co gehören nicht gerade zum Lieblingsprogramm der Drogenszene. Eine klasse Idee, fand Geschäftsführer Frenz, holte sein altes Kofferradio aus der Werkstatt und verkabelte es mit dem Außenlautsprecher.

Kleine Investition, große Wirkung. Seit an der Ecke zur Bauerstraße in Nachbarschaft der Drogenberatungsstelle Drobs von morgens bis abends die Klassikwelle vom NDR dudelt, stehen die Junkies woanders. Die anderen Kaufleute fragen interessiert nach, und die Kunden freuen sich über die weihnachtliche Einstimmung. Frenz: „Die Wirkung ist irre.“ Sollte das Experiment weiter glücken, könnte der Ostertorsteinweg bald zur Klangmeile werden. Doch so ganz ohne Nebenwirkungen ist die Beschallungasanlage nicht, denn nicht nur die Junkies haben unter der Dauerberieselung zu leiden. Frenz: „Man hört's bis in die Werkstatt. Aber immer noch besser als die Situation vorher.“

Doch Mozart allein scheint es nicht zu sein, der zur Wende am O- weg geführt hat. Zum einen treibt der Frost die Szene nicht gerade ins Freie, zum anderen aber hat sich ein alter Wunsch der Kaufmannschaft rund ums Sielwalleck endlich erfüllt. Seit einigen Tagen patrouillieren mindestens zwei Kontaktbereichspolizisten in der Szenegegend. Insgesamt fünf Beamte sind im Schichtbetrieb im Einsatz.

Noch vor einigen Wochen hatten die Kaufleute das Angebot eines privaten Sicherheitsdienstes eingeholt, und damit den Innensenator in Aufruhr versetzt.

Vor rund drei Wochen war es dann zu einem Gespräch im Innenressort gekommen, bei dem den Kaufleuten ein Polizeikonzept für das Sielwalleck vorgestellt worden war. Und das hieß vor allem verstärkte Präsenz und Nähe zu den Kaufleuten. Die fünf Polizisten sollen sich nur um das problematische Gebiet rund um die Drogenszene kümmern. Frenz: „Wir kennen die Namen von allen Beamten und können sie so auch leichter ansprechen.“ Mit dem Konzept würden die schwarzen Sheriffs überflüssig - vorerst, denn ganz verabschieden wollen sich die Kaufleute von der Idee noch nicht. Zuerst soll abgewartet werden, wie sich die Szene weiterentwickelt. Doch auch wenn die Polizisten und Wolfgang Amadeus langfristig nicht viel ausrichten sollten, ob dann die Privatpolizei kommt, das ist eher zweifelhaft. Denn schließlich haben die schwarzen Sheriffs einen entscheidenden Nachteil, sie sind alles andere als billig. Jochen Grabler

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