: Nur raus dort
Die Beratungs- und Interventionsgruppe Rechtsextremismus BIG Rex in Baden-Württemberg arbeitet mit den örtlichen Dienststellen im ganzen Bundesland zusammen. Die Polizeipräsidien sprechen Sympathisanten und Einfachtäter direkt an. Rüdiger Schilling und seine Kollegen konzentrieren sich auf die harten Fälle, die sogenannten Intensivtäter, „sprich, wenn einer mal einen Molli wirft“. Hinzu kommen regionale, lose Gruppierungen und Kameradschaften. „Wir planen mit der örtlichen Dienststelle gemeinsame Aktionen, bei der wir 20 bis 30 Personen umreißen – Mitläufer, Einfach- oder Intensivtäter. Sie werden von uns in verschiedenen Teams innerhalb kürzester Zeit zu Hause besucht und mit einem möglichen Ausstieg konfrontiert.“
Seit 2001 hatte die BIG Rex 2.200 Rechte im Visier und weit über die Hälfte zu Hause angesprochen. 192 haben den Ausstieg geschafft. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) schuf 2001 ein Aussteigerprogramm. Das Kontakttelefon (02 21) 7 92 62 dient der ersten Kontaktaufnahme und ist rund um die Uhr geschaltet. Nach eigenen Angaben wurden und werden dort bislang rund 100 Personen betreut.
Die Aussteigerinitiative Exit hingegen betreibt keine „aufsuchende Arbeit“ in der rechten Szene. Exit wurde im Jahr 2000 von ehemaligen Kriminalisten wie Bernd Wagner sowie dem prominenten Neonazi-Aussteiger Ingo Hasselbach gegründet und unterstützt Aussteigewillige, aber auch deren Angehörige. Wer wirklich sein rechtes Umfeld verlassen will, muss sein Leben völlig umkrempeln, sich nicht nur neue Freunde und Freizeitbeschäftigungen suchen, sondern auch ein neues Weltbild.
Die Initiative hilft vor allem durch Gespräche und die Vermittlung von Kontakten, je weiter weg, desto besser. Wer in der gewohnten Umgebung bleibt, ist ein einfaches Ziel für die Rache der ehemaligen Kameraden. Für viele bedeutet der Ausstieg deshalb zunächst, die Stadt zu wechseln, eine neue Wohnung zu finden, vielleicht auch einen neuen Job. Für wichtig hält Wagner es auch, dass Exnazis die rechtlichen Konsequenzen aus ihrer Vergangenheit akzeptieren: „Wir stellen keine Freifahrscheine aus, dass jemand geläutert ist und nicht mehr bestraft werden muss.“
Wer sich an Exit wendet, darf nicht zu viel erwarten: „Wir finanzieren niemandem ein neues Leben“, erklärt Bernd Wagner. In der rechten Szene halten sich hartnäckig Gerüchte, bei Aussteigerinitiativen würde für Insiderinformationen aus der Szene gut bezahlt, Naziaussteiger sei ein lukrativer Job. „Alles Unsinn“, sagt Wagner, „einige Informationen sind nötig, um abzuschätzen, welche Reaktionen nach einem Ausstieg drohen.“
Die rechte Szene ist gut vernetzt. Wird ein Ausstieg bekannt, ist die Neuigkeit über das Internet schnell verbreitet. Zu solchen Hetzkampagnen gehört anscheinend, zu betonen, wie unwichtig der „Verräter“ für die Szene war. Dazu kommen beleidigende Behauptungen über angebliche Gründe für den Ausstieg, von Alkoholismus, Angst vor einer Haftstrafe bis hin zu psychischen Erkrankungen. Manchmal bilden solche Internetkampagnen die Basis für gewalttätige Übergriffe – zum Teils sogar durch Personen, die ihr Opfer nicht persönlich kennen und trotzdem voller Hass sind auf die „Verräter an der Sache“. Ein Umzug bedeutet daher nicht immer, in Sicherheit leben zu können.
250 Menschen hat Exit nach eigenen Angaben bislang begleitet. Sechs von ihnen kehrten zurück ins rechte Umfeld. Das Loslassen fällt besonders schwer, wenn jemand nicht nur alte Freunde hinter sich lässt, sondern wenn sich auch die Familie, der Ehepartner, die eigenen Kinder in der Szene bewegen. Es gibt auch Kinder, die seit ihrer Geburt ein rassistisches Weltbild vermittelt bekommen haben, die in den Ferien in Nazi-Zeltlager fuhren und abends braune Heldengeschichten vorgelesen bekamen. Wenn die rauswollen, müssen sie wirklich alles aufgeben, was sie bisher kannten. KERSTIN SPECKNER