: Nur mit Konto rollt der ersehnte West-Rubel
■ Schlangen an den Schaltern, um Formulare für die Währungsumstellung zu ergattern / BRD-Experten versprechen DDRlern Kaufkraftgewinn
Berlin (dpa) - In der DDR hat der Endspurt im Run auf die D -Mark begonnen. Einen Vorgeschmack auf den Tag X bot der Dienstag nach Pfingsten. Als Banken, Sparkassen und Postämter begannen, die Formulare für die Währungsumstellung auszugeben, bildeten sich schon am frühen Morgen lange Schlangen vor den Schaltern. Bereits wenige Stunden später wurden mancherorts die Vordrucke knapp, auf denen die bestehenden Kontenverbindungen anzugeben sind.
In weniger als vier Wochen kommt es auf dem Gebiet des noch existierenden zweiten deutschen Staates zu einer historisch beispiellosen Währungsumstellung. Am 30.Juni verliert die Mark der DDR, deren Hundertmarkschein der Kopf von Karl Marx schmückte, ihren Wert. Am 1.Juli, einem Sonntag, kommt die von den DDR-Bürgern ersehnte D-Mark. 10.000 Auszahlungsstellen werden an diesem Tag und danach beschäftigt sein, die Menschen in der DDR mit dem für den Lebensunterhalt nötigen neuen Geld auszustatten.
Für den ersten Bedarf werden mehr als 25 Milliarden DM auf geheimen Routen in die DDR gekarrt. Doch der Anspruch ist weit größer. Ende 1989 wies die Bilanz der Staatsbank knapp 160 Milliarden Mark Guthaben auf Spargirokonten und Sparbüchern aus. Löhne müssen nach dem 1.Juli ebenfalls in DM bezahlt werden. Mit der Umstellung erhält jeder DDR -Bürger zunächst höchstens 2.000 DM auf die Hand.
Nach der Währungsunion werden die DDR-Bürger erst einmal weniger Geld als vorher auf ihren Konten haben. Während Löhne und Gehälter im Verhältnis 1:1 umgestellt werden, gelten für Bargeld und Spargroschen andere Sätze. Bestimmte Grundbeträge zwischen 2.000 und 6.000 DDR-Mark werden je nach Lebensalter ebenfalls 1:1 umgetauscht. Für darüber hinausgehende Beträge gilt dann generell der Umstellungskurs 2:1. Für eine DDR-Familie mit zwei Kindern im Alter von zwölf und 15 Jahren werden somit aus einem Sparguthaben von 25.000 Ost-Mark nach der Währungsumstellung 19.500 West -Mark. Auch wenn das Ersparte nach der Umstellung zusammengeschmolzen ist, versprechen die Experten den Noch -DDR-Bürgern einen kräftigen Kaufkraftgewinn. Schottete die bisherige Binnenwährung die DDR-Bürger von den Märkten der Welt ab, so öffnet die harte D-Mark das Tor in eine neue, glitzernde Warenwelt.
An neues Geld kommen DDR-Bürger nur, wenn sie ein Konto haben. Ein direkter Bargeldumtausch ist ausgeschlossen. Viele müssen zum ersten Mal in ihrem Leben ein Konto beantragen. Bis Anfang Juni richteten allein die Sparkassen der DDR, die rund vier Fünftel der Umstellungskonten führen, über 1,2 Millionen neue Konten ein.
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